History Österreich-GP: Stefan Johansson in Todesangst
Stefan Johansson schält sich aus seinem zerstörten McLaren
In freier Wildbahn trifft der Grand-Prix-Rennfahrer auf allerlei Getier: Hasen in Silverstone, Echsen in Singapur (und zwar richtig grosse), Murmeltiere in Montreal, Schlangen in Malaysia, Käuzchen in Interlagos. Die Murmeltiere von Montreal sind legendär, 2012 lief hier auch ein junger Fuchs über die Bahn, und auch Biber sind keine Seltenheit. Renault-Star Fernando Alonso überfuhr in Jerez eine Taube. In Interlagos sind Wildhüter angestellt, welche in der Woche vor dem Rennen nichts Anderes tun, als auf Hundejagd zu gehen. Was haben wir nicht schon alles auf der Rennstrecke von Sepang gesehen: Eine Kobra, die sich den Renngeräten mutig, aber aussichtslos entgegenstellte, eine junge Wildkatze, die anmutig über die Bahn sprintete. Die meisten Begegnungen zwischen Rennwagen und Tier enden glimpflich, und wir können anschliessend ein wenig schmunzeln. Hin und wieder aber wird es todernst – auch hier am Red Bull Ring.
Der Schwede Stefan Johansson (59) ist ein treuer Formel-1-Fan geblieben. Obschon der grosse Erfolg für den WM-Fünften von 1986 ausgeblieben ist (keine GP-Siege, trotz Engagements 1985/’86 bei Ferrari sowie 1987 bei McLaren), blickt der Mann mit den markanten Blättern auf dem Helm ohne Zorn zurück. (Falls Sie sich wundern: Die Blätter deshalb, weil er als Bub „Lill-Lövis“, also kleines Blatt gerufen wurde.)
Der 79fache GP-Teilnehmer Johansson ist unter anderem deshalb mit seiner Karriere im Reinen, weil er weiss, dass leicht alles anders hätte kommen können: Im August 1987 entging der Nordländer auf dem damaligen Österreichring (heute Red Bull Ring) nur knapp dem Tod. Meinem Kollegen Sam Smith von sniffermedia.com hat er später erzählt, was an jenem Sommertag passiert ist.
Der alte Österreichring war eine wunderbare Freiluftrennbahn, Stefan Johansson war im freien Morgentraining unterwegs, am Lenkrad seines McLaren MP4/3-TAG Porsche. Als er über eine Kuppe vor der Jochen-Rindt-Kurve schoss, traute Stefan seinen Augen nicht – ein Rotwild!
Johansson: «Wegen der Kuppe musstest du blind einlenken, du hast auf den Verschlag der Streckenposten ausserhalb der Kurve gezielt, dann wusstest du, dass die Linie in die folgende Kurve halbwegs stimmt. Auf dem höchsten Punkt der Kuppe wurde der Wagen jeweils ganz leicht, und dann sah ich das Vieh – ein Rotwild traf eben Anstalten, sich gemütlich auf den Asphalt zu setzen!»
Eines dieser eleganten Tiere kann leicht mal 100 Kilo wiegen, Johansson wusste genau: Ausweichen war längst keine Option mehr, es ging nur noch darum, wie die Kollision verlaufen würde.
Stefan weiter: «Ich hatte nicht einmal Zeit, um zu bremsen. Ich traf das Reh mit der linken Fahrzeugseite, dieses Geräusch werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Der Aufprall war unfassbar, die Aufhängungspunkte wurden glatt aus dem Chassis gerissen, das Monocoque mussten wir wegwerfen. Mein Glück im Unglück war: Hätte ich das arme Reh nur dreissig Zentimeter weiter zur Mitte des Wagens erfasst, so wäre ich bestimmt am Kopf getroffen worden. Das hätte ich nicht überlebt.»
Der Unfall war noch nicht zu Ende: Ohne Lenkung und ohne Bremsen rutschte Johansson Richtung Leitschienen, der zweite Aufprall. Stefan: «Ich weiss noch, dass ich versuchte, meine Beine anzuziehen, die Cockpits waren damals so geräumig, dass das ging. Dann konnte ich nur noch hoffen. Bei diesem zweiten Schlag habe ich mir ein paar gebrochene Rippen zugezogen.»
Weiter hinten spielte sich das nächste Drama ab. Johansson: «Zehn Wagenlängen hinter mir fuhr Ayrton Senna, der von Teilen des Wilds eingedeckt wurde.»
Johansson fuhr trotz gebrochener Rippen das Rennen und wurde Siebter. Nach dem Grand Prix musste er aus dem Wagen gehoben werden, die Schmerzen waren so gross, dass er es nicht alleine schaffte.
Stefan Johansson sagt: «Die Sache mit dem Wild war wirklich schlimm. Allein wenn ich daran denke, mache ich mir noch heute vor Angst fast in die Hose.»
Heute ist alles ein wenig anders: Rotwild gibt es im Gebiet um den Red Bull Ring noch immer jede Menge. Aber es ist nicht mehr so einfach, aufs Renngelände vorzudringen.
Zum Glück für Fahrer und Tiere.