Neue Formel-1-Regeln für 2019: Alles für die Katz?
Ende April 2018 ist ein neues Aero-Reglement für die Saison 2019 im Eilzugtempo durchgewunken worden. Formel-1-Sportchef Ross Brawn zielt mit den Änderungen darauf, den Piloten schärfere Werkzeuge in die Hand zu geben. Einfach gesagt: Dank einer simpleren Aerodynamik sollen die Piloten einem Gegner besser auf die Pelle rücken können. Brawn brachte dabei das Kunststück fertig, dass er von den Formel-1-Rennställen technische Informationen erhielt, wie sich geänderte Front- und Heckflügel sowie Luftleit-Elemente auf die Aerodynamik auswirken würden. Brawn sieht sich mit den 2019er Autos auf gutem Weg.
Sieben Monate später geistert durchs Fahrerlager: Sind die notwendigen Investitionen alle für die Katz? Ändert sich durch die modifizierte Aerodynamik viel zu wenig? Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner: «Von den ganzen Änderungen im Hinblick auf eine komplett neue Formel 1 im Jahre 2021 hat sich die FIA für 2019 einige Rosinen herausgepickt. Leider haben sich Mercedes und Ferrari für diese Änderungen stark gemacht, also wurde das gutgeheissen. Im Nachhinein wären sich alle Rennställe wohl einig: Es war nicht richtig, die Dinge zu überstürzen. Aber warten wir mal die ersten vier oder fünf Rennen von nächster Saison ab.»
Schon für 2019 etwas zu ändern, das entsprang einem drögen Australien-Grand Prix 2018. FIA-Chef Jean Todt und Formel-1-CEO Chase Carey waren sich einig: Es muss etwas passieren. Die FIA wandte sich an den früheren Ferrari-Chefdesigner Nikolas Tombazis. Der Grieche sollte nicht nur am kommenden 2021er Reglement arbeiten, er sollte auch prüfen, welche Elemente davon sich schon 2019 für die Autos umsetzen liessen. Bald war einer der Schuldigen des Problems gefunden, dass die Piloten sich mit dem Aufschliessen zum Gegner so schwertun: die Frontflügel-Endplatten.
Tombazis und seine Mitarbeiter kamen zum Schluss: Werden die Endplatte und die Bremsbelüftung vereinfacht, wird ein grösseres Luftloch erzeugt, in dem es sich der Hintermann gemütlich machen kann.
Force-India-Technikchef Andrew Green: «Die Reglementänderung für 2019 passiert in bester Absicht. Die heutigen Frontflügel zwingen die Luft so gut als möglich um die Vorderräder herum. Das erzeugt aber so viel Luftwirbel, dass der Verfolger die grösste Mühe hat, sich in den Windschatten des Gegners zu setzen.»
Ross Brawn argumentierte: Wenn es ein Element gibt, das wir verhältnismässig einfach schon kommende Saison einsetzen können, dann lieber etwas früher unternehmen als später.
Formel-1-Rennleiter Charlie Whiting: «Was die ganzen Details angeht, wurde es dann ein wenig komplizierter als erwartet. Die letzten Details sind inzwischen klar.»
«Hoffentlich können alle mit diesen Änderungen leben», meint Andy Green. «Ich hoffe auch, das Reglement lässt keine Lücken frei. Kleine Grauzonen finden sich immer wieder im Regelwerk. Aber ich will nicht, dass etwas Grosses übersehen worden ist und ein Team das dann nutzt. Ich finde es extrem schwierig, ein Reglement für eine bestimmte aerodynamische Geometrie zu schreiben. Je engmaschiger das werden soll, desto länger der Text. Wenn wir nur den Raum freigeben würden, in dem ein Flügel zu sein hat, dann würden die Techniker auf die verrücktesten, kompliziertesten Lösungen kommen, die du dir vorstellen kannst.»
«Es klingt ein wenig widersprüchlich: Aber wir brauchen wirklich ein unfassbar kompliziert formuliertes Reglement, um zu einer möglichst einfachen Lösung zu gelangen.»
Die Frage bleibt: Arbeiten die Rennställe mit der FIA wirklich zum Wohle des Sports zusammen, oder achtet sowieso wieder nur jeder auf den eigenen Vorteil? Nochmals Andy Green: «Es gab eine vernünftige Form der Zusammenarbeit. Die meisten Rennställe wollen helfen, sie möchten, dass der Sport Fortschritte macht, sie wollen mit der FIA kooperieren. Von daher ist das Ganze ein Erfolg»
Williams-Technikchef Paddy Lowe: «Ich fand, dass die Teams sehr offen gewesen sind, einige jedenfalls. Alle trachten nach Klarheit. Wir wollen nicht zum Australien-GP 2019 reisen und uns dann um Details zanken. Ich glaube, allen ist klar, was auf dem Tisch liegt. Ich glaube, wir haben eine Lösung gefunden, welche uns vor unliebsamen Überraschungen schützt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Team etwas so Bahnbrechendes einfallen lassen kann wie damals BrawnGP mit dem Doppeldiffusor. Klar versuchen alle Techniker, so viel Abtrieb als möglich zurückzugewinnen. Ich würde mich nicht wundern, wenn wir trotz des vereinfachten Flügels zu Beginn der Saison 2019 die gleichen Werte erzielen wie heute.»
Der frühere FIA-Angestellte Marcin Budkowski, jetzt Geschäftsleiter des Renault-Rennstalls: «Die Regeln schränken sehr ein. Wir tun uns ehrlich gesagt schwer damit, die Werte von 2018 zu erreichen. Wenn erreicht werden sollte, dass die Luft nicht mehr optimal ums Rad herum fliessen kann, dann ist dieses Ziel erreicht worden.»
«Aber wird das einen enormen Einfluss auf den Sport haben? Wir glauben – nein. Es wird nicht auf einmal einfach sein, in der Formel 1 dem Gegner zu folgen. Die neuen Flügel werden etwas bewirken, aber ob dadurch die Show wesentlich verbessert wird? Wir bezweifeln es.»
Andy Green nimmt den Faden auf: «Hinter den Kulissen läuft ja die Arbeit an den 2021er Autos. Da kommen massive Änderungen auf uns zu. Was 2019 angeht, sind wir vielleicht voreilig gewesen. Wir haben keine Zeit für Experimente. Wir haben keine Zeit, um die Daten 2018 und 2019 zu vergleichen. Wir werden uns nur 2019 angucken können, und dann erleben wir, ob das wirklich Auswirkungen hat. Mein Bauchgefühl sagt: Die Veränderung wird minimal sein.»
«2019 ist nicht der grosse Schritt, 2021 wird es. Wir reden hier von einem komplett anderen Fahrzeugkonzept. Alles Bisherige können wir aus dem Fenster kippen. Das ist aufregend. Das werden Rennwagen sehen, die einen ganz anderen Windschatten erzeugen. Dagegen ist die Frontflügel-Änderung für 2019 winzig. Wenn wir heute noch einmal entscheiden würden, dann hätten wir nichts aus den 2021er Regeln herausgegriffen und vorgezogen.»
Marcin Budkowski von Renault: «Für 2021 sehe ich durchaus die Chance, dass ein Team etwas grundlegend anders machen kann als die Gegner. Das ergibt Möglichkeiten. Aber es hat ja Gründe, warum wir heute die drei besten Teams haben. Die Top-Rennställe haben auch die besten Ressourcen, um auf Reglementänderungen zu reagieren.»
Christian Horner: «Die ganzen Änderungen gehen ins Geld. Werden die Autos einander besser folgen können? Vielleicht ein wenig, aber kaum spürbar. Einige Teams werden das auf die Reihe bekommen, andere nicht. Wenn überhaupt, dann wird die Kluft zwischen den Rennställen wieder grösser. Ich bleibe davon überzeugt: Ein Feld rückt nur dann zusammen, wenn ein Reglement über Jahre stabil bleibt.»