Ross Brawn: Sebastian Vettel von Leclerc angestachelt
Hat Sebastian Vettel bislang bei Ferrari ein leichtes Leben gehabt? Eines steht fest: Ging es in den letzten Jahren hart auf hart, dann wurde Kimi Räikkönen zurückgepfiffen, um die Situation von Vettel zu begünstigen. Der Finne hat sich als vorbildlicher Mannschaftsspiegel gefügt, wenn auch murrend. Diese Zeiten könnten bei Ferrari vorbei sein. Denn der 21jährige Charles Leclerc hat klargemacht: «Ich gehe nicht zu Ferrari, um dort die zweite Geige zu spielen.» Und Teamchef Maurizio Arrivabene weiss: Sebastian Vettel ist die Gegenwart von Ferrari, der zehn Jahre jüngere Leclerc jedoch ist die Zukunft.
Der Engländer Ross Brawn (64) war Teil des Dream-Teams von Ferrari, als die Italiener sechs Konstrukteurs-Pokale in Serie einfuhren und mit Michael Schumacher fünf Fahrer-WM-Titel hintereinander gewannen. Der damalige Technik- und Teamchef von Ferrari hat bis heute exzellente Kontakte nach Maranello behalten. In einer Saison-Nachbesprechung sagt der heutige Sportchef der Formel 1 zur Leistung seines früheren Rennstalls: «Es ist gut zehn Jahre her, dass Ferrari so viele Pole-Positions erringen und so oft gewinnen konnte. Sebastian Vettel war für Lewis ein würdiger Gegner. Aber im Gegensatz zu Hamilton hat es Sebastian nicht geschafft, bei jenen Grands Prix zu triumphieren, bei welchen Ferrari aufgrund ihrer Stärke hätte gewinnen müssen. Geschweige denn hat er Rennen gewonnen, in welchen Ferrari unterlegen war.»
«Kimi Räikkönen hatte eine gute Saison. Er hat mehr oder weniger gebracht, was von ihm verlangt wurde und darüber hinaus einige verblüffende Darbietungen gezeigt. Nun ist seine zweite Karriere bei Ferrari zu Ende, und an seiner Stelle kommt von Sauber der junge Charles Leclerc ins Team.»
«Ich fand den Monegassen in Sachen Geschwindigkeit und Talent wahrhaft eindrucksvoll, nun muss er jedoch einen markanten Schritt machen. Ich bin davon überzeugt – seine Ankunft treibt Ferrari nach vorne, und Sebastian Vettel wird vom jungen Leclerc angestachelt.»
«Die Umstellung unter den Technikern, von Sergio Marchionne angeregt, trägt jetzt Früchte. Mehr noch erkenne ich ein Ferrari, das mit anderem Geist antritt als noch vor zwei Jahren.»
«Es ist naheliegend, dass Fragen gestellt werden. Ferrari hatte die Möglichkeit, Weltmeister zu werden, und sie haben es nicht geschafft. Was also ist schiefgelaufen? Diese Frage läge bei jedem Rennstall auf der Hand, aber Ferrari ist so wichtig, da wird eine solche Frage sozusagen zur Staatsangelegenheit, ich weiss das aus eigener Erfahrung. Zweite Ränge sind einfach nicht gut genug. Und doch gibt es Anlass zur Zufriedenheit und zum Optimismus, denn 2016 fuhr Ferrari noch eine Sekunde hinter Mercedes-Benz, und diese Lücke konnte geschlossen werden.»