Luca Montezemolo: «Schumacher gehört zur Ferrari-DNA»
Michael Schumacher und Luca Cordero di Montezemolo
Er spricht nur noch selten über Ferrari, der grosse Luca Cordero di Montezemolo, von 1991 bis 2014 Steuermann der berühmtesten Sportwagenfirma der Welt und des beliebtesten Rennstalls obendrein. Das Ende seiner Ära war unglamourös, es gab dicke Luft zwischen ihm und Fiat-Sanierer Sergio Marchionne, der sich zum neuen starken Mann von Ferrari machte. Eine schöne Parallele, dass Ferrari und der redegewandte Luca das Geburtsjahr teilen: 1947. Für die Führungspersönlichkeit gilt – man kann Montezemolo aus Maranello entfernen, aber niemand kann Ferrari aus Montezemolo entfernen.
Das Gleiche könnten wir über Michael Schumacher und seine Fans sagen: Wir haben den grossen Champion seit seinem Skiunfall vom 29. Dezember 2013 nicht mehr gesehen, aber kein Formel-1-Fan hat den siebenfachen Champion vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn, das gilt in diesem Falle nicht.
Luca Montezemolo und Michael Schumacher waren einander zugetan wie Vater und Sohn, wie der frühere Ferrari-Chef meinem Kollegen Leo Turrini von der QN-Gruppe erklärt (zu «Quotidiano Nazionale» gehören die Tageszeitungen «Il Resto di Carlino» aus Bologna, «La Nazione» aus Florenz, «Il Giorno» aus Mailand und «Il Telegrafo» aus Livorno).
Montezemolo sagt: «Mit Michael haben wir alles gewonnen und dann noch einmal. Aus einem Arbeitsverhältnis entstand schnell Freundschaft. Ich stehe in Kontakt mit Corinna, aber ich teile die Entscheidung der Familie, sein Leben privat zu halten.»
«Es mag vielleicht erstaunen, aber das erste, was mir bei Michael in den Sinn kommt, ist nicht etwa der Rennfahrer – sondern der Familienvater. Sein zweites Kind war eben auf die Welt gekommen, also Mick, und die ganze Familie kam zu mir in die Ferien. Es war Sommer, also Mückenzeit. Alle fünf Minuten ist Michael zu den Kindern gerannt, in tiefer Sorge, ob sie nicht vielleicht einen Mückenstich erlitten hätten. Seine Aufmerksamkeit für Details hat mich umgehauen. Bei Michael bist du dir darüber klargeworden, dass selbst eine Winzigkeit fundamental sein kann. Schumacher hat er in der DNA von Ferrari Spuren hinterlassen.»
«Michael war oft in Maranello, damals hatten wir ja noch keine Testbeschränkung. Feste Bestandteile dieser Tests war das Tischfussballspiel mit den Mechanikern und dann am Abend eine gemeinsame Pizza. Er wollte nicht spät noch in ein Hotel fahren müssen, also hat er mich um Erlaubnis gebeten, in der Wohnung von Enzo Ferrari zu schlafen, auf dem Gelände der Fiorano-Strecke. Wir haben ihm dort sogar einen Fitnessraum eingerichtet, weil er vom Training besessen war.»
«Der Industrielle Gianni Agnelli (die graue Eminenz von Fiat und Ferrari, die Red.) mochte Schumacher sehr. Er hat mir immer gesagt: „Dieser Deutsche liegt mir am Herzen. Er kostet uns zwar einen Haufen, aber er ist jede Lira wert.“»
«Heute erinnern sich alle an die gewaltigen Erfolge, die wir gemeinsam feierten. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es viele Rückschläge gab und wir erst im fünften Jahr den ersten Titel holen konnten. Auf dem Weg dahin gab es Schlappen und Kontroversen. Ich weiss noch – nach dem Crash mit Villeneuve in Jerez 1997 oder nach dem Unfall mit Coulthard 1998 in Belgien haben einige Leute gefordert, dass wir ihn feuern! Einen Schumacher feuern, verstehen Sie? Mir wurde gesagt, er habe seine Emotionen nicht unter Kontrolle, ausgerechnet er! Nicht vorzustellen, wenn ich damals nachgegeben hätte.»
«Der wichtigste Moment auf der Rennbahn war die WM-Entscheidung 2000 in Japan. Ich war zuhause geblieben. Michael Schumacher trug die Hoffnungen einer ganzen Nation, die Erwartungshaltung hatte schon fast etwas Messianisches. Ich sass also vor der Flimmerkiste. Ich hielt Amulette und Glücksbringer in den Händen, ich betete, dass endlich alles gutgehen möge, mit allen heiligen und unheiligen Sprüchen, die mir einfielen. Noch drei Runden zu fahren. Ich war beinahe im Zustand der Atemlosigkeit. Das Telefon schellte! Am Draht Gianni Agnelli. “Luca“, sagte er, „Kompliment, der Alptraum ist endlich vorbei.“ Ich hielt meine Glücksbringer noch ein wenig fester, während Agnelli gar nicht mehr zu reden aufhörte, und dann endlich diel die Zielflagge.»
«Ich konnte mich immer ganz auf Michael und Teamchef Jean Todt verlassen. Ich konnte erleben, wie er das Wachstum junger Techniker begünstigte, die ihn zum Vorbild nahmen. Ein Mannschaftsspieler durch und durch. Ich kann mich nicht an nur einen Streit zwischen ihm und Ferrari erinnern. Auch wenn er das gut im Zaum gehalten hat, so gehörte zu Michael eine gute Portion Emotionalität – da war er schon fast Südländer.»