Nicolas Todt zu Mick Schumacher: Das macht er richtig
Werden die heutigen Rennfahrer zu früh Richtung Formel 1 geschubst? Im ersten Teil unserer Geschichte haben Toro Rosso-Teamchef Franz Tost sowie der langjährige ART-Rennstallbesitzer Fred Vasseur über die Anforderungen an die Grand-Prix-Neulinge gesprochen und über ihre Arbeit mit den jungen Wilden.
Nicolas Todt (41), Sohn des FIA-Präsidenten Jean Todt, hat sich jahrelang um die Karriere von Felipe Massa gekümmert, dann um Jules Bianchi und Charles Leclerc, seit 2018 auch um Daniil Kvyat. Der Franzose findet: «Es stimmt, dass die Piloten früher in die Formel 1 kommen. Aber ich halte sie für besser vorbereitet als vor zwanzig Jahren. Nimm nur die Fitness. Damals hatten wir einen extrem durchtrainierten Michael Schumacher. Heute muss man keinem Piloten mehr sagen, er müsse sich körperlich besser vorbereiten. Sie machen das schon selber. Aber Führung brauchen sie dennoch. Klar geht es im Rennsport auch ohne Manager, wir haben genügend Beispiele dafür. Aber ich glaube, es hilft einem jungen Fahrer, wenn er kluge Ratschläge bekommt, wenn er auf Verständnis zählen kann. Schlechter Rat kann teuer werden.»
«Wenn du in ein neues Umfeld kommst, und du kennst niemanden, dann ist es wichtig, auf eine Person bauen zu können; eine Person, welche sich im Geschäft auskennt und dich vor Fehlern schützen kann. Ich treffe so oft Fahrer, die sagen: „Ja, ich habe Fehler gemacht, dies ist meine zweite Chance.“ Einer wie Esteban Gutiérrez würde das wohl sagen. Wenn du die üblichen Fallen vermeiden kannst, dann ist das ein Vorteil.»
Wieso glaubt Todt, dass Stoffel Vandoorne sein unbestrittenes Talent in der Formel 1 nicht umsetzen konnte? Nicolas sagt: «Zunächst mal sass er in einem schlechten Wagen. Das ist keine Hilfe. Aber unterm Strich hilft nichts: Du musst das fahren, was dir zur Verfügung gestellt wird. Zudem hatte er neben sich einen der besten Fahrer der Welt, vielleicht einen der besten drei. Selbst wenn dein Auto übel ist, so musst du deinen Stallgefährten bügeln, wenigstens ab und zu. Du wirst in der Formel 1 kaum überleben, wenn deine Quali-Bilanz gegen den Stallgefährten 0:21 heisst.»
«Dann kommt es drauf an: Gut, ein Pilot ist in der GP2 oder Formel 2 vielleicht Meister geworden, doch wer waren seine Gegner? In der Formel 1 fahren die Besten. Und dann kommt noch die Erwartung dazu. Viele sagten über Vandoorne: “Hier kommt der neue Hamilton.“ Dann ging’s schief. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass er ein überdurchschnittlicher Fahrer ist, und ich hoffe, er bekommt eine zweite Chance. Auch Max Verstappen hat Fehler gemacht, selbst bei Red Bull Racing. Im echten Leben gibt es keine Superhelden.»
Das Timing ist ganz wichtig. Ein Minimalalter von 18 und strengere Vorschriften in Sachen Formel-1-Führerschein (Superlizenz) haben dazu beigetragen, dass Piloten mit mehr Erfahrung in die Formel 1 kommen als vor vier Jahren. Keiner von ihnen macht heute einen Sprung wie damals Max Verstappen aus der Formel 3 in die Formel 1. Alle haben ein solides Fundament aus GP3, Formel 3 und Formel 2, wie die beiden Engländer Lando Norris und George Russell oder der Monegasse Charles Leclerc.
Nicolas Todt weiter: «Bei Charles gingen wir im Aufbau sehr behutsam vor. Vielleicht hätten wir ein Jahr früher Formel 1 machen können, aber wir wollten nichts überstürzen. Einige fühlen sich da gedrängt, sie glauben, sie könnten den Zug verpassen. Aber bei Charles wollten wir sicherstellen, dass er für den GP-Sport bereit ist.»
Todt findet, dass Mick Schumacher ein gutes Beispiel dafür ist, wie man sich in der Karriere korrekt Zeit gibt. «Bei Mick heisst es nicht – jetzt oder nie! Er weiss, dass er noch viel lernen muss. Er ist jung. Das Ziel besteht nicht darin, möglichst schnell in einem GP-Renner zu sitzen. Das Ziel muss sein, in der Formel 1 zu bleiben. Ich halte es für sehr wichtig, gut vorbereitet in den Grand-Prix-Sport zu kommen. Du musst in den Nachwuchsklassen beweisen, dass du regelmässig gewinnen oder gar dominieren kannst. Dann ist es Zeit für den nächsten Schritt. Die meisten Fahrer überstürzen alles, und das stellt sich später als Fehler heraus..»
Wie bereitet Todt den jungen Leclerc auf Ferrari vor? Nicolas meint: «Ferrari ist für Charles kein unbekanntes Terrain. Er kennt die Ferrari-Familie seit drei Jahren. Und Ferrari schützt seine jungen Piloten gut. Ich glaube also, Leclerc ist in guten Händen. Aber natürlich bin ich auch da, um seine Interesse zu schützen.»
Doch trotz aller Erfahrung von Männern wie Franz Tost, Fred Vasseur und Nicolas Todt: Ob ein junger Fahrer den Durchbruch schafft, das ist nicht in Stein gemeisselt. Nicolas Todt: «Wenn du zwei Piloten hast, und der eine schlägt den anderen ständig, dann ziehen die Menschen Schlüsse. Jedes Jahr ist ein neues Jahr. Einige Piloten fahren in Nachwuchsserien anderen hinterher, in der Formel 1 haben sie gegen die gleichen Rivalen auf einmal die Nase vorn. Es gibt sehr viele Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Unterm Strich gilt eben: Wir sind alle nur Menschen.»