Ferrari 2019 uneinholbar? Das sagt Mattia Binotto
Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat in Sotschi mit milder Resignation festgehalten: «An roher Motorleistung geht beim Motor nicht arg viel mehr. Also müssen wir beim Chassis und in Sachen Reifennutzung besser sein, dazu ist eine clevere Rennstrategie gefragt. Auf diesen Gebieten müssen wir zulegen. Ein gewisser Teil des Rückstands bei der Antriebseinheit ist wohl nicht aufzuholen. Schon gar nicht auf so kurze Frist. Also muss ich davon ausehen, dass Ferrari auch an den kommenden GP-Wochenenden dominieren wird.»
Ferrari hatte schon das ganz Jahr über einen bärenstarken 1,6-Liter-V6-Turbomotor, wie Beschleunigungs- und Topspeed-Messungen belegt haben. Seit der Wagen dank des Evo-Pakets von Singapur auch mehr Abtrieb aufbaut, sind Charles Leclerc und Sebastian Vettel auf jeder Art Rennstrecke siegfähig.
Bis zum verpatzten Rennen von Sotschi glaubten die Tifosi, mit einiger Berechtigung: Ferrari kann bis zum Saisonende alle Rennen gewinnen. Aber Ferrari-Teamchef Mattia Binotto ist – wie auch Toto Wolff – eher der Glas-leer-Typ: Der Österreicher und der Italiener stapeln lieber tief als hoch.
Zur angeblichen Überlegenheit von Ferrari meint Mattia Binotto: «Ich bin nicht der Ansicht, dass unser Vorsprung beim Motor so enorm ist. Ich glaube eher, dass wir inzwischen den Wagen besser verstehen und dass die verschiedenen Entwicklungen eingeschlagen haben. Es zeigt sich auch, dass unser Konzept vielleicht doch nicht so falsch gewesen ist.»
Formel-2-Europameister Marc Surer hielt im Mai fest: «Ferrari hat ein konzeptionelles Problem. Das Auto baut zu wenig Abtrieb auf. Das fiel im Winter aus zwei Gründen nicht auf: Erstens reichte es im frühen Entwicklungsstadium der Autos und in Barcelona, um Bestzeiten zu fahren, und zweitens hatte Mercedes das eigene Fahrzeug in der ersten Wintertestwoche nicht im Griff. Wenn wir uns die Sektoren anschauen, dann war Ferrari schon im Winter im letzten Pistenteil schlecht, dort also, wo du am meisten Abtrieb brauchst. Wir hätten damals aufhorchen müssen.»
«Abtrieb kannst du nicht einfach herbeizaubern. Gut, du könntest grössere Flügel ans Auto packen, aber dann bist du auf den Geraden nicht mehr schnell genug. Das ist Ferrari in China passiert. Abtrieb muss vom Unterboden kommen, daher vermute ich – Ferrari hat ein konzeptionelles Problem. Wenn der Frontflügel die Luft aussen um die Vorderräder zwingt, dann ist das zur Versiegelung des Luftstroms an den Seitenkästen gut in schnellen und mittelschnellen Kurven, aber es scheint in langsamen Ecken nicht zu funktionieren. Die Aerodynamiker wollen die Wirkung des Unterbodens betonen, indem sie mit geschickt geführtem Luftfluss verhindern, dass Luft seitlich abfliesst. Du willst diese Luft möglichst nachhaltig unterm Auto behalten und zum Heck leiten. Fliesst die Luft seitlich ab, dann verlierst du Abtrieb.»
«Mercedes hat ein anderes Konzept, das von Anfang an auf mehr Abtrieb abzielte, daher sind sie auf den Geraden nicht so schnell wie Ferrari, aber sie gewinnen vor allem in langsamen Kurven so viel Zeit, dass sie am Ende die Nase vorn haben.»
Dieses Mercedes-Konzept war so lange entscheidend, bis Ferrari mit dem Singapur-GP ein Durchbruch gelang. Mattia Binotto weiter: «Generell glaube ich daran – wenn du vier Motorenhersteller hast, dann gehe ich nicht davon aus, dass alle die gleichen Leistungsdaten erreichen. Vielleicht haben wir derzeit den kraftvollsten Motor, aber ich schätze, die Anderen sind durchaus in der Nähe.»
«Ich glaube nicht, dass unser Vorsprung so enorm ist wie Einige behaupten. Ja, wir sind auf den Geraden sehr schnell, aber das ist nicht nur auf den Motor zurückzuführen, sondern auch auf ein sehr windschlüpfiges Auto. Alles in allem ist unser Vorsprung gewiss nicht so üppig wie jener, den Mercedes früher hatte, als sie mit dem schlicht besten Motor aufkreuzten.»