Training in Mexiko: Vettel (Ferrari) 1., Albon-Crash
Manchmal kommen mir die Formel-1-Teams vor wie Pokerspieler in einem schlechten Western: Wenn sie mit undurchschaubarer Miene dasitzen, die Karten in der Linken, eng an der Brust, die Rechte jederzeit bereit, blitzschnell zum Halfter zu greifen, sollte es brenzlig werden. Eines war nach dem ersten Training in Mexiko-Stadt klar geworden – hier hatte keiner seine Karten aufgedeckt.
Auf den ersten Blick wurde der Eindruck vorgegaukelt: Mercedes fährt hier auf Augenhöhe mit Ferrari und Red Bull Racing-Honda. Der zweite Blick freilich zeigt: WM-Leader Hamilton erzielte seine Bestzeit auf weichen Pirelli-Reifen (wie üblich rot markiert), Ferrari jedoch verzichtete die ersten 90 Minuten darauf, die roten Walzen aufzuziehen.
Logische Frage: Was ist der Unterschied zwischen dem weichen Pirelli und dem mittelharten, mit dem die Ferrari-Piloten Charles Leclerc und Sebastian Vettel gefahren waren? Typisch Formel 1, dass sich die Experten darüber nicht einig sind. Die Wahrheit dürfte irgendwo zwischen drei und fünf Zehntelsekunden liegen. Wir wagen daher die kühne Behauptung: Ferrari hat hier das schnellste Auto, jedenfalls mit wenig Sprit im Tank.
Im ersten Training hatten wir auch einen Vorgeschmack darauf erhalten, was im Qualifying auf uns zukommen wird: Wenn sich die Piloten in der letzten, langsamen Stadionpassage auf den Rädern herumstehen, weil sich jeder in die bestmögliche Position für eine schnelle Runde bringen will. Da ist Ärger programmiert.
GP-Sieger Johnny Herbert: «Ich war im ersten Training von Charles sehr beeindruckt. Die Piste war in den ersten 90 Minuten nicht im besten Zustand, wenn mehr Gummi liegt, kann sich das Bild ändern. Auf dieser Bahn ist das Reifen-Management besonders knifflig. Du hast sehr langsame Passagen, wie im Stadion, und sehr schnelle. Die Reifen neigen zum Körnen, wenn sich auf der Oberfläche kleine Gummikügelchen bilden. Die Frage wird sein, wie lange diese Phase dauert. Die Erfahrung hat gezeigt: Mehr Gummi auf der Bahn führt verringerter Neigung zum Körnen.»
Erste Duftmarken: Sebastian Vettel im Ferrari mit 1:18,697 min (1,3 Sekunden langsamer als Leclerc am Morgen), 23 Tausendstelsekunden vor Max Verstappen im Auto von Red Bull Racing-Honda, mit 1:18,720 min. Dann knallte Charles Leclerc eine 1:18,183-min-Runde hin. Vettel antwortete mit 1:17,960 min.
Während Max Verstappen eine mangelhafte Kraftentfaltung am Ausgang der Kurve monierte, rutschte Renault-Fahrer Daniel Ricciardo nach einem Verbremser von der Bahn. Abgesehen vom Stolz wurde nichts beschädigt.
Dann unterhielt Charles Leclerc die Fans in Kurve 1 mit einem schwungvollen Dreher. Reifen hin, Fahrer und Fahrzeug sonst okay. Ex-Formel-1-Fahrer Paul Di Resta tadelte: «Charles ist schnell, keine Frage, aber er macht zu viele Fehler.»
Unfall von Alex Albon
Der nächste Fehler war gravierender: Rote Flagge wegen Alex Albon, der Red Bull Racing-Honda-Renner des Thai-Briten steckte in Kurve 8 in einer TecPro-Barriere. Der Londoner war beim Anfahren der Kurve rechts auf den Randstein geraten, das Heck schmierte weg, der Wagen prallte linksseitig in die Pistenbegrenzung, das rechte Vorderrad wurde abgeknickt. Ob der Schlag aufs rechte Hinterrad über die Halbwelle das Getriebe beschädigt hat, wird sich noch zeigen. Und ob die herausgefetzte Radaufhängung das Chassis verletzt hat, ist eine andere Frage. Falls nein, müssen die RBR-Mechaniker reparieren; falls ja, müssen sie in der Nacht auf Samstag ein neues Auto aufbauen.
Unter den Augen der brasilianischen Rennlegende Emerson Fittipaldi sowie der GP-Sieger Juan Pablo Montoya und Rubens Barrichello (sein Sohn Eduardo fährt hier Formel 4) ging es nach einer knappen Viertelstunde weiter. Aber ohne Albon: Die Schäden sind zu gross, um heute nochmals auf die Bahn zu gehen.
Max Verstappen, noch immer auf mittelharten Reifen, schob sich zwischen Vettel und Leclerc. Valtteri Bottas drehte sich im Stadion, ohne anzuschlagen. Carlos Sainz war mit seinem McLaren neben der Bahn im Gras, auch hier keine Schäden.
Skurriler Stand nach 35 Minuten: Vettel mit 1:17,960 min, Verstappen mit 1:17,960, dann Pierre Gasly im Toro Rosso-Honda mit 1:18,003, weiche Pirelli-Reifen sei Dank. Dann machte Charles Leclerc ernst, ebenfalls mit weichen Pirelli: Klar neue Bestzeit, 1:17,072 min, fast neun Zehntel schneller als Vettel. Aber auch der Deutsche war nun mit weichen Pirelli auf der Bahn, im ersten Pistenteil zwei Zehntel schneller als der Monegasse, schneller auch im mittleren Streckensektor, am Ende blieb die Uhr bei 1:16,607 min stehen. Das war jetzt mal eine Ansage!
Max Verstappen zeigte daraufhin, wieso er die letzten beiden Rennen hier gewonnen hat: 1:16,772 min, 115 Hundertstel hinter Vettel, aber vor Leclerc.
Ungewöhnliche Szene bei Ferrari: Sebastian Vettel sagte sich «selbst ist der Mann», nahm den Sitz aus seinem Ferrari und feilte mehrfach selber daran.
Die Zeitenjagd war zu Ende. Wer jetzt auf weichen Reifen auf die Bahn ging, fuhr mit den rot markierten Pirelli Dauerläufe. Damit änderte sich vorne nichts mehr: Vettel vor Verstappen, Leclerc, Bottas, Hamilton, den überraschenden Toro Rosso von Kvyat und Gasly, Sainz, Hülkenberg und Norris komplettieren die Top-Ten.
Was ist los mit Lewis Hamilton? Die Art und Weise, wie der Silberpfeil lag, drängt den Verdacht auf – mit leerem Tank und voller Power war das nicht. Der Western-Held mit dem Stern hat seine Asse noch nicht ausgespielt.