Sebastian Vettel: Sieg gestohlen, Stachel sitzt tief
Selbst ist der Mann: Sebastian Vettel stellt die Platztafeln um
Taten sagen manchmal mehr als Worte. Der fuchsteufelswilde Sebastian Vettel stampfte nach dem Grossen Preis von Kanada durchs Parc fermé, um sich wie vorgeschrieben auf die Waage zu stellen. Er kam an den Autos von Hamilton und Leclerc vorbei, hielt kurz inne, dann packte er kurz entschlossen die 1 vor dem Wagen von Hamilton und stellte sie auf den leeren Platz daneben, dorthin, wo sein Ferrari als Sieger hätte stehen sollen. Donnernder Applaus von der Haupttribüne!
Den siebten WM-Lauf der Saison in Montreal beendete Sebastian Vettel zwar auf dem ersten Platz. Den Sieg durfte aber erneut Lewis Hamilton feiern, weil der deutsche Ferrari-Star eine umstrittene Fünfsekunden-Zeitstrafe kassierte – er war unter dem Druck des Briten von der Bahn geraten und fuhr knapp vor dem Mercedes-Piloten wieder auf die Strecke zurück. Selbst Hamilton sagte später: «An seiner Stelle hätte ich genau das Gleiche getan, um meinen Platz zu verteidigen!» Die Rennkommissare kannten keine Gnade.
Zuvor hatte Vettel am Funk deponiert: «Nein, nein, nein, nein, nein – das ist nicht fair. Ernsthaft! Du musst doch blind sein, um das nicht sehen zu können. Ich war im Gras, trudelte auf die Bahn zurück, ich hatte doch Gras auf den Rädern, ich konnte von Glück reden, dass ich nicht in die Mauer geknallt bin. Diese Welt dreht sich falsch! Diese Strafe ist nicht fair. Wohin sollte ich denn fahren? Sie haben uns diesen Sieg gestohlen!»
Später meinte Seb bei einem ersten Interview auf dem Siegerpodest: «Das ist so schade. Ich konnte das Rennen geniessen. Die Unterstützung für Ferrari hier ist grandios. Vor allem in der Haarnadel war es genial, die ganzen Tifosi zu sehen. Lewis war wohl ein wenig schneller als ich auf den harten Reifen, aber ich konnte mich vorne halten. Über die Szene würde ich am liebsten nicht mehr reden. Ich habe genug gesagt, sollen doch die Leute entscheiden!»
Die Fans in Montreal entschieden: Als Lewis Hamilton das Wort ergriff, begannen viele von ihnen zu pfeifen und zu buhen. Vettel schritt sofort ein: «Nein, die Leute sollen Lewis nicht auspfeifen oder buhen. Hamilton hat mir viel Respekt gezeigt. Wenn jemand ausgebuht gehört, dann die Rennkommissare!»
«Wir hätten heute den Sieg verdient. In gewisser Weise fühle ich mich als Kanada-Sieger. Ich bin aus gutem Grund als Erster über die Ziellinie gefahren. Ich sehe uns als Sieger. Es gibt wohl nicht viele, die dem widersprechen würden, aber Einige halt schon.»
«Es ist seltsam, die Ziellinie als Erster zu kreuzen und nicht zu siegen. In gewisser Weise fühle ich mich als Sieger, als moralischer Sieger. Wir können jetzt noch eine Stunde über das alles reden, aber es wird nichts ändern. In solchen Momenten reagierst du instinktiv, du versuchst nur, den Wagen von der Mauer fern zu halten, dann erst hatte ich Zeit, mal in den Spiegel zu sehen und sah dort formatfüllend Hamilton. Jeder weiss, dass ich nie versuchen würde, einen Gegner zu gefährden.»
Der Stachel sitzt bis heute tief. Denn im Rahmen der Weihnachtsfeier von Ferrari in Maranello hat Vettel wiederholt: «Uns wurde damals der Sieg gestohlen.» Dafür setzte es von der Belegschaft donnernden Applaus.
Vettels Stallgefährte Charles Leclerc meinte auf die Frage, was er sich vom Präsidenten John Elkann für 2020 wünsche: «Ein Auto, mit dem ich Weltmeister werden kann.»
Elkann lobte gegenüber den Ferrari-Mitarbeitern «ein Zusammengehörigkeitsgefühl ganz im Geiste von Enzo Ferrari. Vielleicht liegt hier unser Geheimnis – wir haben das gegenseitige Vertrauen, dass wir zusammen Grosses erreichen können. 2019 hat einmal mehr gezeigt: Wir stellen uns jeder Herausforderung.»
Ferrari-Teamchef Mattia Binotto sprach davon, dass mehr Siege möglich gewesen wären und wünscht sich für 2020 einen GP-Renner, der «so standfest wie schnell ist».