GP-Piloten in Corona-Zeiten: Wie ungestüme Pferde
Auch für die Formel-1-Fahrer hat die Corona-Pandemie das Leben auf den Kopf gestellt. Sie sollten heute bereits zwei Trainings zum Grossen Preis von Vietnam auf dem Strassenkurs von Hanoi zurückgelegt haben. Stattdessen sitzen sie auf der ganzen Welt zuhause, auf einer GP-Rennstrecke hat sich kein Rad gedreht, nicht in Melbourne, nicht in der Wüste von Sakhir, nicht in Hanoi.
Wir wollten von Formel-1-Physio Josef Leberer wissen: Wie gehen die Alfa Romeo Racing-Fahrer Kimi Räikkönen und Antonio Giovinazzi mit der Situation um? Der Österreicher sagt: «Gut. Sie wissen, was sie zu tun haben. Sie haben ihre Trainingsprogramme, und die werden weiter durchgezogen. Natürlich müssen sich die Grand-Prix-Piloten auch an die ganzen Regeln halten, die in den jeweiligen Ländern gelten.»
«Die grösste Umstellung ist vielleicht nicht das Training, sondern die Tatsache, dass sie derzeit keine Rennen fahren können. Gut, einige sitzen zuhause im Simulator. Grundsätzlich halten sie sich alle körperlich und geistig fit, um bereit zu sein, wenn es endlich wieder losgehen kann. Bei Kimi ist das einfach, weil er in seinem Haus einen schönen Trainingsraum hat.»
Grundsätzlich kümmert sich bei Alfa Romeo Racing Mark Arnall um den Finnen Kimi Räikkönen, Leberer schaut bei Giovinazzi nach dem Rechten. Jo sagt weiter: «Natürlich hat Antonio exakte Angaben, worum er sich alles kümmern muss – Kraft, Ausdauer, Koordination und Konzentration, das sind alles Übungen, die dem üblichen Trainingsprogramm entsprechen. Giovinazzi hat zudem noch einen persönlichen Trainer, mit dem wir im Winter das Programm besprochen haben. Alles in allem wird hier eine super Arbeit geleistet, das hat sich auch beim Zustand der Fahrer vor den Wintertests in Spanien gezeigt.»
«Inzwischen haben wir das Trainingsprogramm der Corona-Situation angepasst. Denn üblicherweise haben wir die Vorbereitung im Winter, dann folgen die beiden Testwochen in Spanien und kurz darauf beginnt ein gewisser Rhythmus aus den ganzen Rennen, die mehr oder weniger im Zweiwochentakt folgen. Wenn die Saison läuft, dann wird das Trainingspensum der Arbeit auf der Renntrecke und den ganzen Reisen angepasst. Das fällt jetzt ja alles weg.»
«Wir Trainer suchen dabei nach Mitteln und Wegen, damit es einem Piloten nicht langweilig wird. Man kann nicht immer auf die gleiche Art trainieren, das wird eintönig. Also werden die Übungen variiert. Mit den ganzen modernen Kommunikationsmitteln ist es sehr leicht, die Verbindung zu den Fahrern aufrecht zu erhalten.»
Carlos Sainz hat unlängst gesagt: «Du kannst zuhause so viel trainieren wie du willst, nichts ersetzt das Fahren.» Der Madrilene glaubt, dass einige Piloten am ersten GP-Wochenende arge Probleme mit dem Nacken haben werden, weil die direkte Vorbereitung aus den Wintertests auf die Fliehkräfte nicht mehr da ist. Wie sieht Jo Leberer das? «Carlos hat sicher Recht, wenn er sagt, dass es für die Fitness eines Grand-Prix-Piloten nichts Besseres gibt, als zu fahren. Aber die Fahrer sind durchs Band auf einem sehr hohen Trainingsniveau, da mache ich mir keine Sorgen.»
«Woran ich eher denke: Alle gieren darauf, dass es endlich wieder losgeht. Da staunt sich Einiges an, und das wird sich entladen, wenn sie endlich im Rennwagen sitzen. Ich vergleiche hier die Fahrer oft mit ungestümen Pferden, wenn sie nach einer Pause wieder auf die Weide dürfen, da kannst du schön erkennen, wie sich vor Energie fast platzen. Und so könnte das auch bei uns kommen.»
Solch eine Situation ist auch für Formel-1-Piloten noch nie dagewesen. Wie müssen die Fahrer mental reagieren? Jo Leberer weiter: «Da erkenne ich kein Problem. Ein Rennfahrer muss mental so viele Bälle in der Luft behalten, schon seit frühesten Tagen auf Kart-Niveau lernen sie sehr gut, mit Druck umzugehen. Wenn wir eine verkürzte Saison haben, dann erkenne ich eher ein Problem in der vertraglichen Situation. Wer für die Zukunft abgesichert ist, der kann gelassen an seine Aufgaben herangehen. Wer hingegen noch nicht weiss, wo er 2021 fahren wird, der will natürlich seine Fähigkeiten in die Auslage stellen. Das kann zu einer gewissen Übereifrigkeit führen.»
«Ich weiss, dass Piloten darunter leiden, wenn sie nicht das tun, was sie am liebsten machen. Das heisst noch nicht, dass sie mit der heutigen Situation automatisch ein Problem haben. Fahrer sind es gewohnt, sich sehr schnell auf Veränderungen einzustellen, und das kommt ihnen hier zu Gute. Aber auch hier gilt, wie gewiss unter allen Menschen – einige sind da ein wenig cooler.»
«Rennfahrer haben gleichzeitig eine gewisse Grund-Ruhe. Sie wissen, dass es nichts bringt, alles zu Verkopfen, sie haben sich im Laufe der Jahre in Sachen Selbstvertrauen eine starke Rüstung angefertigt. Und das hilft ihnen auch in schwierigen Situationen wie heute.»
Aus dem Bauch heraus: Wann fahren wir wieder zu einem Formel-1-Rennen? Jo Leberer sagt: «Wir sind doch im Herzen alles Racer, ich bin ja auch frustriert, dass meine 33. Saison nicht begonnen hat. In all den Jahren habe ich nur ein Rennen auslassen müssen, als ich wegen einer Knieverletzung nicht nach England reisen konnte. Sonst war ich immer dabei.»
«Klar würde ich gerne einen WM-Auftakt in Kanada sehen, aber wenn ich erkenne, was im Nachbarland USA los ist, dann wird das wohl kaum machbar sein. Dann käme Frankreich Ende Juni, das sehe ich auch als problematisch an. Österreich könnte für seinen Grand Prix bereit sein, aber dann werden wir das ganze Problem der Reisebeschränkungen haben – dass sich in einigen Ländern die Situation stabilisiert hat, wir aber dennoch nicht reisen können, weil andere Länder leider noch nicht so weit sind.»
«Ich muss zugeben: Es tut weh, dass der Rennsport zum Erliegen gekommen ist. Aber ich bleibe bei aller Objektivität ein positiv denkender Mensch. Also hoffe ich, dass wir so bald als möglich wieder fahren können. Wann immer das sein wird. Ich schliesse auch nicht aus, dass wir Grands Prix ohne Zuschauer erleben könnten.»
Der gegenwärtige Formel-1-Kalender 2020
14. Juni: Montreal, Circuit Gilles Villeneuve/CDN
28. Juni: Le Castellet, Circuit Paul Ricard/F
05. Juli: Spielberg, Red Bull Ring/A
19. Juli: Silverstone, Silverstone Circuit/GB
02. August: Mogyoród bei Budapest, Hungaroring/H
30. August: Francorchamps, Circuit de Spa-Francorchamps/B
06. September: Monza, Autodromo Nazionale/I
20. September: Singapur, Marina Bay Street Circuit/SGP
27. September: Sotschi, Sochi Autodrom/RUS
11. Oktober: Suzuka, Suzuka Circuit/J
25. Oktober: Austin, Circuit of the Americas/USA
1. November: Mexico City, Autódromo Hermanos Rodríguez/MEX
15. November: São Paulo, Autódromo José Carlos Pace/BR
29. November: Abu Dhabi, Yas Marina Circuit/UAE
Ohne neuen Termin
Shanghai, Shanghai International Circuit/RCH
Melbourne, Albert Park Circuit/AUS
Bahrain, Bahrain International Circuit/BRN
Hanoi, Street Circuit Hanoi/VN
Zandvoort, Circuit Park Zandvoort/NL
Montmeló bei Barcelona, Circuit de Barcelona-Catalunya/E
Aserbaidschan, Baku City Circuit/AZ
Abgesagt
Monte Carlo, Circuit de Monaco/MC
Das ursprüngliche WM-Programm
15. März: Melbourne, Albert Park Circuit/AUS
22. März: Bahrain, Bahrain International Circuit/BRN
5. April: Hanoi, Street Circuit Hanoi/VN
19. April: Shanghai, Shanghai International Circuit/RCH
3. Mai: Zandvoort, Circuit Park Zandvoort/NL
10. Mai: Montmeló bei Barcelona, Circuit de Barcelona-Catalunya/E
24. Mai: Monte Carlo, Circuit de Monaco/MC
7. Juni Aserbaidschan, Baku City Circuit/AZ
14. Juni: Montreal, Circuit Gilles Villeneuve/CDN
28. Juni: Le Castellet, Circuit Paul Ricard/F
5. Juli: Spielberg, Red Bull Ring/A
19. Juli: Silverstone, Silverstone Circuit/GB
2. August: Mogyoród bei Budapest, Hungaroring/H
30. August: Francorchamps, Circuit de Spa-Francorchamps/B
6. September: Monza, Autodromo Nazionale/I
20. September: Singapur, Marina Bay Street Circuit/SGP
27. September: Sotschi, Sochi Autodrom/RUS
11. Oktober: Suzuka, Suzuka Circuit/J
25. Oktober: Austin, Circuit of the Americas/USA
1. November: Mexico City, Autódromo Hermanos Rodríguez/MEX
15. November: São Paulo, Autódromo José Carlos Pace/BR
29. November: Abu Dhabi, Yas Marina Circuit/UAE