Die Sieger: Von Champagner, Schaumwein und Milch
Es gehört zur Motorsport-Tradition über die Grenzen der Königsklasse hinaus: Der Sieger gönnt sich selber (und meist auch den Menschen auf und unter dem Podest) eine tüchtige Champagner-Dusche. Aber wieso eigentlich? Was hat der edle Saft auf dem Siegerpodest eines Autorennens verloren, und warum wird mehr davon verspritzt als getrunken?
Unsere Spurensuche führt in die Steinzeit der Automobile, als sich Herrenfahrer mit ihren fliegenden Kisten Duelle auf Leben und Tod lieferten. Das klingt jetzt nach klebrigem Pathos, aber Fakt ist: Die Autos nach der Jahrhundertwende waren nicht besonders standfest, Sicherheitsvorkehrungen waren so gut wie inexistent – wer von der Bahn geriet, musste mit dem Schlimmsten rechnen.
Rennsport konnte sich damals nur leisten, wer tüchtig Geld hatte oder das Privileg, von einem Werk angestellt zu werden. Klar gönnten sich die Piloten, nicht selten blauen Blutes, nach ihrer Mutprobe gerne ein Gläschen. Durchaus denkbar, dass schon damals das eine oder andere Glas Moët & Chandon getrunken wurde, aus einem Haus, das 1743 von Claude Moët gegründet worden war. Chandon kam hinzu, als Claudes Nachkomme Jean-Remy Moët die Hälfte des Unternehmens an seinen Sohn Victor sowie an seinen Schwiegersohn Pierre-Gabriel Chandon de Briailles übergab. Moët & Chandon wurde französischer Hoflieferant, schon 1880 wurden 2,5 Millionen Flaschen pro Jahr verkauft.
Zeitsprung ins Jahr 1936. Gemäss Informationen des Hauses Moët & Chandon wollten die Veranstalter des Vanderbilt Cup von 1936 auf Long Island dem Sieger nicht nur eine übergrosse Trophäe überreichen, sondern auch eine richtig fette Flasche Champagner. Also entschlossen sich die New Yorker zu einer Salmanazar von Moët & Chandon, das ist eine Neun-Liter-Pulle, was einem Dutzend normaler Champagnerflaschen entspricht.
Ausgerechnet der kleine Tazio Nuvolari war am Ende wieder mal der Grösste, was neben der Siegertrophäe besonders ulkig aussieht. Wie der fliegende Teufel aus Mantua die Moët & Chandon ansetzt, das gilt als erstes Siegerbild eines Grand-Prix-Piloten mit Champagnerflasche.
Die Amerikaner waren auch mitschuldig daran, wie es zur Champagner-Spritzerei gekommen ist. 1966 zahlte sich der Millionenaufwand von Ford beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans endlich aus – Dreifachsieg für die GT40 Mark II von Bruce McLaren/Chris Amon, Ken Miles/Denny Hulme und Ronnie Bucknum/Dick Hutcherson. Falls Sie den Kinofilm «Ford vs. Ferrari» (deutsch: Le Mans 1966, Gegen jede Chance) noch nicht gesehen haben, wir können ihn wärmstens empfehlen.
Eine Stunde vor dem Fallen der Zielflagge bat Henry Ford II den Franzosen Fred Chandon, bitteschön einen Champagner für die Siegerzeremonie bereit zu stellen. Chandon kannte solche Wünsche, immerhin war seine Firma offizieller Lieferant beim Grossen Preis von Frankreich in Reims, wo Juan Manuel Fangio als Sieger der neuen Formel 1 1950 erstmals einen Champagner überreicht bekommen hatte.
Chandon versprach also Ford, sich um ein Fläschchen zu kümmern. «Von wegen Fläschchen!» polterte der Autokonzern-Chef. «Da müssen Sie schon eine Jeroboam bringen!» Also eine Dreiliter-Flasche. Chandon organisierte einige Flaschen, aber was dann geschah, das war nicht geplant.
Aufs Siegerpodest traten damals auch die beiden Porsche-Fahrer Jo Siffert und Colin Davis. Die beiden hatten mit ihrem Porsche 906 die Zweiliterklasse gewonnen und die so genannte Indexwertung, für herausragende Kombination aus Hubraum, Leistung und Effizienz.
Während die Siegerhymnen gespielt wurden, hatte die Flasche von Siffert genug davon, in dieser Hitze herumzustehen, zumal ohne angemessene Beachtung. Sie entledigte sich mit einem tüchtigen Knall ihres Korkens und erzeugte eine stattliche Dusche für die Umstehenden. Jo Siffert fand das zum Schreien komisch und griff nach der noch schäumenden Flasche, bevor er sich wie die anderen Piloten gesittet, also aus einem Glas einen Schluck gönnte.
Ein Jahr später, 1967, griff der siegreiche US-Amerikaner Dan Gurney auf, was er im Vorjahr gesehen hatte. Er wartete gar nicht erst darauf, dass sich eine Flasche selbständig machte, sondern schüttelte sie gleich selber und wurde so zum Vorbild aller Champagner-versprühenden Rennfahrer, sein Gefährte A.J. Foyt wollte da nicht zurückstehen. Erstes Opfer der Amerikaner – Jo Siffert, der erneut die Index-Wertung gewonnen hatte (dieses Mal im Porsche 907, an der Seite von Hans Herrmann). Der Schweizer sprühte postwendend zurück, ein herrliches Chaos.
Moët & Chandon wurde 1966 offizieller Champagner der Formel 1 und blieb es bis Ende 2000. Dann legte sich die F1-Führung mit der Marke Mumm ins Bett, das dauerte bis Ende 2015. 2016/2017 gab es auf dem Siegerpodest Schaumwein von Chandon (keinen echten Champagner, weil der Wein nicht aus der Gebiet der Champagne stammte), Mitte 2017 wurde mit der Edelmarke Carbon ein neuer Champagner-Partner gefunden. Aber nach nur drei Jahren war Schluss: Seit 2021 wird auf den Formel-1-Siegerpodesten Spumante (italienischer Schaumwein) verspritzt, mit dem passenden Firmennamen: Ferrari Trento.
Aber nicht überall auf dem Siegerpodest schäumt es.
Beim Indy 500 ist die Siegermilch Tradition – und der Mann, der jene Tradition eröffnete, war Louis Meyer nach seinem Sieg 1933. Er verlangte nach einem Glas Buttermilch, weil seine Mutter ihm das an heissen Tagen empfohlen hatte. 1936 gewann er das 500 erneut, dieses Mal trank er aus einer Milchflasche. Ein Vorstandsmitglied des Verbandes der US-amerikanischen Milch-Industrie stolperte Jahre später über ein Foto von Meyer und fand dies eine perfekte Werbung. Ab 1956 trat der Verband als offizieller Sponsor des Indy 500 auf. Bis heute.