Aserbaidschan-GP Baku: Formel 1 auf Kopfsteinpflaster
Als die besten Fahrer der Welt ab 1950 in Form der Formel-1-WM gegeneinander antraten, war der Tod ihr ständiger Begleiter: Bäume neben der Fahrbahn, keine Sicherheitsgurte, die Helme so widerstandsfähig wie Nussschalen. Und sie fuhren über Schlaglöcher, Tramschienen – und Kopfsteinpflaster.
Was viele Formel-1-Fans nicht erahnen, wenn sie in den kommenden Tagen Bilder aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku sehen: Die Fahrer flitzen am kaspischen Meer noch immer auf Kopfsteinpflaster, nur wird die von einer Asphaltschicht bedeckt und geschützt.
Schon beim ersten Auftritt der Königsklasse in Baku 2016 wurde bald klar – dieser WM-Lauf ist kein 0815-Grand Prix.
Bei der Premiere erreichte der damalige Williams-Fahrer Valtteri Bottas einen sagenhaften Top-Speed von 378 km/h – und das auf einem Strassenkurs!
Der Slogan der Gastgeber passte: The speed is higher in the land of fire.
Rennstreckenarchitekt Hermann Tilke (69) hat die Pistenführung in Baku erdacht und war damals vom Ablauf der Bauarbeiten sehr angetan, wie er mir erklärt hat.
«Das sind wir sehr angenehm überrascht worden – der Umgang war absolut problemlos, es entstand ein überaus kollegiales Verhältnis. Die Menschen, mit denen wir unten zu tun haben, hören zu und sind sehr hilfsbereit, dazu sprechen sie ein sehr gutes Englisch und sind generell hervorragend ausgebildet.»
«Wir hatten die Baku die etwas spezielle Aufgabe, dass wir an zwei Passagen auf Kopfsteinpflaster fahren müssten, eine davon ist diese enge Linkskurve, wo fast jedes Jahr einige Piloten hängen bleiben. Diese zwei Passagen gehören zum historischen Teil der Stadt.»
Dabei geht es vorbei an der Stadtmauer, deren älteste Teile bis aufs 11. Jahrhundert zurückgehen. Seit dem Jahre 2000 gehört die komplette Innenstadt von Baku zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Tilke weiter: «Zu meinem persönlichen Bedauern ist das Fahren auf Kopfsteinpflaster in der Formel 1 nicht mehr erlaubt. Also mussten wir Mittel und Wege finden, diese beiden Stellen abzudecken. Diese temporäre Lösung besteht zunächst aus Sand, und dann aus einer Asphaltschicht, die anschliessend wieder abgetragen wird. Die Anschlüsse sind dabei durchaus knifflig, wir können dort ja nicht gut Stufen hineinbauen. Die Formel 1 fährt in Baku also tatsächlich auf Kopfsteinpflaster, aber halt eben nicht direkt darauf.»
Ebenfalls ungewöhnlich: Die Piste ist teilweise enger als Monte Carlo.
Hermann Tilke: «Diese enge Passage zu Beginn der Altstadtsektion ist eine Herausforderung, der mit ungewöhnlichen Lösungswegen begegnet werden musste. Natürlich gibt es diesbezüglich FIA Vorgaben, aber zum Glück waren die nicht starr, sondern der Autoverband liess mit sich reden.»
«Die FIA ist dort kompromissbereit, wo es eben nicht anders geht. Wir konnten die Stadtmauer aus dem Mittelalter ja schlecht verschieben! Aber das macht diese Piste halt auch so besonders. Baku war auch für uns als Pistenbauer ein echtes Erlebnis. Man wirft der Formel 1 ja immer eine gewisse Sterilität vor. Das kann in Aserbaidschan gewiss keiner behaupten.»
Tilke erzählte zudem eine Anekdote über das grosse Gebäude, das im Hintergrund des Formel-1-Fahrerlagers steht: «Das heisst zwar ‘Government House’, ist aber nicht der eigentliche Regierungssitz, sondern da sind verschiedene Ministerien untergebracht – ein tolles Monumentalgebäude, zu dem in Baku eine Geschichte kursiert, von der ich zugeben muss: Ich weiss nicht, ob sie stimmt.»
«Das Gebäude wurde zwischen 1936 und 1952 erstellt, teilweise mit Hilfe von deutschen Kriegsgefangenen. In Baku wird erzählt, die Deutschen seien an einem gewissen Punkt in den Streik getreten. Sie wollten nicht mehr weiterarbeiten, weil sie fanden, die Zementqualität sei zu schlecht. Sie haben erst dann die Arbeit wiederaufgenommen, als sie besseren Zement bekommen haben. Die Geschichte ist heute ein urbaner Mythos von Baku.»