Nico Rosberg & Lewis Hamilton: Die Rolle der Medien
Lewis Hamilton tritt den Medienschaffenden nicht naiv gegenüber
Der vierfache Formel-1-Champion Alain Prost hat gestern festgehalten: «Was in Belgien passiert ist, das ist für mich ein reiner Rennzwischenfall. Für mich wurde aber viel zu heftig reagiert: Team, Medien, Fans. Da wurde teilweise in den Kommentaren viel zu weit gegangen, ein Riesentheater. Die Folgen für Hamilton und seine Punktesituation waren ernst, dem stimme ich zu, aber der Vorfall an sich war eher unbedeutend. Ich bleibe dabei: das war ein Rennzwischenfall, und alles andere ist aufgebauscht.»
Der 51fache GP-Sieger sollte es besser wissen: War nicht er in eine ähnliche Situation mit Ayrton Senna verwickelt, in der es in Japan um den WM-Titel ging? Damals wurde Prost Weltmeister, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass er die Aktion für aufgebauscht hielt. Und war es nicht Prost, der jahrelang höchst intelligent die Medien für seine Ziele eingespannt hat?
Wenn zwei Grand-Prix-Stars um Siege und Titel kämpfen, ist das nun mal ein grosses Thema. Die Ersten erkannten die Tragweite des Zwischenfalls ungefähr in jener Sekunde, als Hamiltons Wagen in Belgien waidwund mit einem Platten einherrollte. Deutlicher wurde die Situation, als Nico Rosberg auf dem Siegerpodest ausgebuht wurde. Noch deutlicher, als die Reaktionen der Mercedes-Verantwortlichen zu hören waren. Und auch dem Begriffsstutzigsten musste klar sein, was hier los ist, als Lewis Hamilton in seiner Medienrunde dem Stallgefährten Absicht unterstellte. Die Journalisten kamen von der Hamilton-Runde jedenfalls zurück, als hätte sie Gold gefunden.
Man macht es sich zu einfach, bei solchen Gelegenheiten den Medien eine Teilschuld für den Schlamassel zu geben. Kein Medienschaffender hat den Mercedes-Strategen zu eher ungeschickten Funksprüchen in Ungarn geraten. Kein Medienschaffender hat Rosberg empfohlen, sich doch mal an den Gegner anzulehnen. Kein Medienschaffender hat Hamilton gezwungen, Interna aus einer Teamsitzung preiszugeben.
Dass die Geschichte ein gefundenes Fressen für die Medien wird, muss allen Beteiligten klar sein: Dazu braucht es keine Übertreibung. Die Aufgabe der Medien besteht nicht nur darum, Zusammenhänge zu zeigen und zu erklären. Es geht um Auflage, es geht um Einschaltquoten, es geht um Klicks, und die lassen sich nur mit emotionalen Geschichten erhöhen. Was gibt es Emotionaleres als zwei WM-Rivalen aus dem gleichen Rennstall, die aneinander geraten?
Gleichzeitig müssen wir uns bei aller Leidenschaft in der Diskussion auch im Klaren sein: Wir sind hier in der Unterhaltungsindustrie. Formel-1-Sport ist für die Menschen Zeitvertreib, eine millionenteure Seifenoper. Und das wissen die Hauptdarsteller ganz genau. Glaubt wirklich jemand, Lewis Hamilton habe seine Aussage nur in der Hitze des Moments gemacht und nicht daran gedacht, welches Erdbeben er auslösen würde?
Der psychologische Aspekt zwischen Hamilton und Rosberg ist ganz wichtig: Nico hat auf der Piste klargemacht, dass Lewis sich in Acht nehmen muss. Es ist ein wenig, als ob ein Schüler dem Pausenplatz-Grobian eine gelangt hat, um die ständigen Einschüchterungen zu beenden. Lewis wiederum hat besonders die britische Presse geschickt instrumentalisiert, um in die Opferrolle zu schlüpfen. Dabei ist der Brite nicht unbedingt als Zimperliese auf der Strecke bekannt.
Besonders Boulevard-Blätter in Grossbritannien leben wochenlang von solch einer Story. Die genaue Darstellung ist dabei zweitrangig, wie ein Beispiel vor gut zwanzig Jahren zeigt.
Michael Schumacher gegen Damon Hill, diese Duelle begeisterten Mitte der 90er Jahre die Fans. Nach einer Kollision der zwei Stars in Monza trat ein britischer Kollege auf mich zu: «Hat Michael gesagt, Damon wolle ihn umbringen?» – «Nein», antwortete ich ihm. «Schumacher hat Hill für die Aktion kritisiert, aber er sagte nichts dergleichen.»
Am Montag titelte die entsprechende Zeitung: Michael Schumacher – Damon Hill wollte mich umbringen.
Ich stellte den Kollegen beim folgenden WM-Lauf zur Rede: «Wieso fragst du mich nach Zitaten, wenn du am Ende sowieso schreibst, was dir in den Kram passt?» Der Brite trat von einem Fuss auf den anderen: «Ach, du weisst doch, wie das läuft. Das wäre einfach keine gute Geschichte gewesen. Schliesslich geht es um die Auflage ...»
Unterschätzen sollte niemand die Rolle der Medien: Die Fans machen sich ihr Bild aufgrund dessen, was sie im TV sehen, im Internet lesen, in der Zeitung entdecken. Die wenigsten von ihnen waren vor Ort, noch weniger waren im Fahrerlager, um Nuancen der Stimmungen zu spüren. Auch wenn sich die Fans letztlich ihr Urteil selber bilden: die Medien bleiben die dominanten Meinungsmacher.
Wie geht es nun weiter?
Was ich schön finde: der Tenor im Fahrerlager von Spa-Francorchamps entspricht dem Ergebnis einer Mercedes-Umfrage in dieser Woche – 92% der Fans wünschen sich auch weiterhin freie Fahrt für die beiden Silberpfeil-Piloten.
Jeder Racer, und davon gibt es unter den Medienschaffenden zum Glück noch immer genug, würde sich darüber freuen. Nicht nur der Auflage wegen.