Pit Beirer (KTM): «Müssen jetzt mit Bedacht planen»
Wer hätte damit gerechnet? KTM führt nach 7 von 19 Rennen dank Aron Canet aus dem Max Racing Team mit 23 Punkten Vorsprung souverän die Moto3-WM an. In der MotoGP-Klasse liegt Pol Espargaró an unglaublicher neunter Stelle, Asse wie Crutchlow, Viñales und Lorenzo hat er distanziert. Aber in der Moto2-WM befindet sich nur ein KTM-Fahrer in den Top-Ten der Tabelle. Der kampfstarke Brad Binder ist dank seiner Konstanz WM-Neunter, mit 69 Punkten Rückstand auf Alex Márquez. Bei drei Grand Prix in diesem Jahr kam keine KTM in die Top-Ten, in Texas nicht einmal in die Punkteränge. Dabei landete Red Bull-KTM 2018 mit Oliveira noch auf den WM-Rängen 2 und 3.
Als Binder (2019 einmal Vierter, einmal Fünfter, einmal Sechster) in Jerez im Quali nur 0,3 sec auf die Bestzeit verlor, meinte KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer: «Die KTM ist kein Pflug.» Aber das neue Chassis brachte in Le Mans, Mugello und Catalunya keine Fortschritte. Und es ist keine rasche Besserung in Sicht. Der letzte Schnellschuss entpuppte sich als Reinfall. Im Catalunya-Quaklifying 2 fehlte Binder unter den Top-18. Die zwei Speed-up (Navaroo ud Di Giannantonio) standen auf den Plätzen 4 und 5, NTS brachte Bendsneyder auf Startplatz 14. Die besten KTM zwischen all den Kalex fanden sich auf den Startplätzen 15 (Lecuona) und 17 (Jorge Martin).
Jetzt wird durchgeatmet und in Ruhe geplant. Pit Beirer rechnet mit ersten Neuheiten nach der Sommerpause.
Pit, Es gab bisher mindestens drei Chassis-Versionen für den neuen Triumph-Einheitsmotor, aber richtig eingeschlagen hat keine davon. Was können die Teams und Fahrer jetzt kurzfristig oder mittelfristig erwarten? Die Fahrer werden langsam ungeduldig.
Es ist klar, Moto2 funktioniert halt einfach nicht gut genug. Diese Veränderung, die wir für Le Mans sehr schnell eingebaut haben, hat uns geholfen, vorne das Chattering wegzubringen, dafür haben wir hinten den Grip verloren. Wir haben also einen Vorteil gegen einen gleich großen Nachteil aufgewogen. Und wir sind wieder 0,4 Sekunden weg, wenn Brad Binder im Training richtig andrückt.
Das funktioniert so nicht.
Wenn du mehr als ein Jahr lang an einem Motorrad entwickelst und es nicht funktioniert, wenn du dann Schuss aus der Hüfte probierst, der dann auch nicht alle Probleme löst, dann musst du einmal innehalten, in Ruhe durchatmen und den nächsten Schritt mit Bedacht planen. Wir möchten jetzt einen Schritt planen, der dann auch funktioniert.
Es ist immer noch so: Von einem Motorrad, das 0,4 sec langsamer ist, kann man nicht sagen, dass es gar nicht funktioniert. Aber es reicht halt in dieser Liga nicht.
Man kann nur den Hut vor der Arbeit von Kalex ziehen. Sie haben die Latte 2019 extrem hoch gelegt. Wir wissen, dass Alex Baumgärtel und seine Mannschaft einen guten Job macht. Gegen ihn zu bestehen in dieser Klasse ist nicht ganz so einfach.
Die Moto2-KTM ist kein Pflug. Aber von einem Sieger-Motorrad ist sie weit entfernt. Das lässt sich nicht beschönigen. In Mugello war nicht einmal eine KTM im Q2 der besten 18.
Das ist ein Fakt, den will ich gar nicht schönreden. Das ist so. Wir haben unser Motorrad im Grenzbereich nicht so im Griff, dass wir die Balance so hinbringen, dass es nicht chattert und gleichzeitig Grip hat. Wir können uns nur zwischen Pest und Cholera entscheiden.
Das ist momentan echt eine harte Zeit. Es geht auch darum, die Fahrer bei Laune zu halten. Was sollen wir den Fahrern sagen, wenn wir im Moment keinen neuen Teile dabei haben? Ohne Neuheiten wird sich die Situation nicht verändern. Und das wird sicher noch eine Weile so bleiben. Da müssen wir durch.
In Le Mans gab es am Freitag mit dem neuen Chassis noch eine Bestzeit von Brad Binder. Dort meinte Red Bull-Teamchef Aki Ajo noch, der Titel müsse noch nicht abgeschrieben werden. Aber jetzt braucht bei KTM keinen mehr vom WM-Titel zu träumen?
Ja, das ist so. Irgendwann musst du Realist sein und sagen: «Wir brauchen jetzt in dieser Saison nicht mehr vom Titel zu reden.»
Jetzt geht es darum, die Kurve zu kriegen und den Jungs noch ein konkurrenzfähiges Motorrad hinzustellen. Denn wir müssen in diesem Jahr noch eine Art Vertrauen bei den Fahrern und den Teams aufbauen. Sonst hat nächstes Jahr keiner Lust auf das Motorrad. Da haben wir jetzt definitiv sehr viel Arbeit für uns.
KTM hat neun Fahrer in fünf Moto2-Teams. Werden manche Teams abspringen?
Wir bemühen uns, alle Teams für 2020 bei der Stange zu halten. Aber ich habe Verständnis, wenn sich ein Team momentan anderswo umschaut.
In der Moto3-WM 2016 hat Miguel Oliveira ab Misano 2015 noch mehr als 100 Punkte auf Danny Kent (Honda) aufgeholt, als KTM ein Chassis-Update lieferte. So ein Bravourstück ist in der Moto2 unvorstellbar? Wann kommen neue Teile?
Vor der Sommerpause wird nichts mehr passieren. Wir testen heute am Dienstag in Barcelona noch einmal alle Möglichkeiten durch, um die Richtung vorzugeben, wie wir in der Sommerpause das Motorrad verändern werden.
Dass wir 100 Punkte aufholen wie damals in der Moto3-WM mit Oliveira, davon müssen wir nicht träumen. Zuerst müssen wir einen Schritt machen, damit die Fahrer sagen: «Es macht Spaß, mit diesem Gerät zu fahren.» Diese Situation haben wir momentan nicht. Das brauchen wir auch nicht schönzureden.
Kann KTM diese Probleme In-house lösen? Oder muss man externe Experten zu Rate ziehen? Ihr habt ja auch den ehemaligen FTR-Chassis-Konstrukteur Xavi Soldevila im MotoGP-Team unter Vertrag.
Ja, ich will die Diskussion über externe Berater stoppen. Es geht jetzt nicht darum, bei KTM einen Schuldigen ausfindig zu machen und wieder irgendjemand auszutauschen. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, die für das Moto2-Projekt verantwortlich ist. Wir als KTM haben ein Problem und nicht eine einzelne Person. Jetzt müssen wir das Problem gemeinsam lösen. Von den Jungs, die jetzt an Bord sind, wird keiner ausgetauscht.
Wir haben über dieses Chassis inzwischen einiges gelernt. Das Ziel muss sein, dass die Gruppe mehr Erfahrung kriegt und das Problem für die Zukunft selber lösen kann.
Sogar Ducati lässt das MotoGP-Chassis bei Suter Industries in der Schweiz bauen. Das empfindet niemand als Schande. KTM hat ja genug andere erfolgreiche Projekte.
Wir sind sicher nicht beratungsresistent, wenn es gute Leute gibt, die uns helfen können. Aber ich möchte daran erinnern, dass vor uns schon der eine oder andere Hersteller in der Moto2-Klasse war und dann gegen Kalex auch nichts ausgerichtet hat.
Deshalb sitzt jetzt nirgends ein Techniker daheim auf dem Sofa und ist in der Lage, ein siegfähiges Chassis aus dem Ärmel schütteln.
Deshalb werden wir unser Chassis nicht irgendwo extern bauen lassen.
Wir müssen diese Niederlage jetzt einmal akzeptieren. Die ist da. Punkt. Aus. Amen. Fertig. Aber wir müssen das Problem bei uns im Werk lösen. Wir sind Motorradhersteller und müssen auch das Motorrad für die Moto2 selber bauen.
Xavi Soldevila hat für FTR schon siegfähige Chassis für die kleinen Klassen gebaut. Wird er jetzt beim Moto2-Projekt zu Rate gezogen?
Xavi hat eine wichtige Rolle in unserem MotoGP-Testteam und bei der Entwicklung der RC16. Aber er wird genau der sein, den wir uns jetzt intern als Ratgeber holen. Er wird das Bike jetzt nicht konstruieren, aber von ihm werden wir uns definitiv die Freigaben holen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.
Wenn du solche Manöver nicht aktiv betreibst, haben die Techniker aus den anderen Projekten keine Zeit, da drüber zu schauen. Sie müssen sich ja zuerst mal einlesen und die Daten analysieren. Du kannst jetzt nicht von einem Lkw in den andern rübergehen und sagen: «Heh, baut jetzt mal dies oder jenes.»
Aber Xavi ist definitiv jetzt in dem Team drin, das sich um die Moto2 kümmert.