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Jürgen Lingg: «Das Moto2-Reglement ist anspruchslos»

Von Günther Wiesinger
Dynavolt-Intact-GP-Teammanager Jürgen Lingg hat mit dem technischen Moto3-Reglement keine Freude. «Die KTM-Idee mit 500-ccm-Zweizylindern für 2016, das wäre reizvoller gewesen», betont er.

Jürgen Lingg, Technik-Direktor und Teamteilhaber beim deutschen Dynavolt Intact GP-Team mit Moto2-Pilot Sandro Cortese, ist kein Anhänger des Einheitsbreis in der mittleren WM-Klasse mit 600 ccm.

CBR-600-RR-Einheitsmotoren von Honda, Dunlop-Einheitsreifen, Einheits-ECU, dazu Einheitsöl und 22 von 32 Fahrern auf Kalex – das ist nicht das allerliebste Betätigungsfeld für einen einfallsreichen GP-Techniker.

Jürgen, die Einheits-Motoren werden dir drei weitere Jahre erhalten bleiben, also zumindest bis Ende 2018. Du bist enttäuscht? Für dich wäre es reizvoller gewesen, wenn man für 2016 ein offenes Reglement gestaltet hätte wie in der Moto3-Klasse?

Definitiv, ja. Ich war eigentlich echt ein bisschen enttäuscht, als es so stillschweigend verlängert wurde.

Es gab zum Beispiel von Pit Beirer (KTM) den Vorschlag, man möge auf 500-ccm-Zweizylinder umsteigen. Eskil Suter plädierte sogar für 160 PS starke 750-ccm-Dreizylinder.

Die Idee von Pit habe ich gutgeheissen. Das Konzept von Eskil wäre ein bisschen brutal gewesen.
500-ccm-Zweizylinder, das würde echt Sinn machen, weil die Motorräder dann auch leichter wären. Das wären dann echte Rennmotorräder, und man könnte ein bisschen mehr dran machen.
Das Problem ist für mich, dass der Honda-Einheitsmotor viel zu schwer ist. Es spricht ja auch keiner davon, dass dauernd die Gänge rausspringen. Das Ding ist einfach ausgereizt. Es ist kein Rennmotor. Er passt vom ganzen Know-how her nicht ?zu einer Weltmeisterschaft, finde ich. Ein Moto3-Triebwerk wiegt rund 25 kg.
Ein MotoGP-Vierzylindermotor ist mit Sicherheit ?leichter, so 55 kg, denke ich. Unser Vierzylinder-Honda-Motor wiegt mit Drosselklappe knapp 60 kg.
Das passt im Verhältnis nicht zusammen. Denn die komplette Moto2-Maschine wiegt 138 kg.

Viele Techniker und Fahrer jammern, aber trotzdem wurde der Einheits-Motorendeal einfach verlängert – ohne viel Demokratie.

Ich weiss nicht, ob es an der Bequemlichkeit der Teams liegt. Aber von der technischen Seiten her ist die Moto2 eher anspruchslos.
Trotzdem, die Competition ist gut, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Deshalb wird wohl nichts geändert...
Aber wenn ich bedenke, was wir früher in der 250er-WM alles ändern konnten. Jetzt sind uns die Hände gebunden.
Ich finde aber, dass technischer Wettbewerb in einer WM-Klasse dazu gehört. Natürlich würde die Klasse etwas teurer. Aber wenn man Grenzen setzt wie in der Moto3, würde der Aufwand überschaubar bleiben.

Man könnte eine Kostendeckelung machen und die maximale Drehzahl festlegen, dazu die Anzahl der erlaubten Motoren pro Jahr. Das ist ja alles keine Hexerei.

Ja, es funktioniert in der Moto3 auch.

Als es keine Einheitsmotoren gab, waren in der 250er-WM Marken wie Aprilia, Gilera, KTM, Honda, Yamaha, Suzuki und einst auch Kawasaki dabei. Manche Landesimporteure haben GP-Teams finanziert, teilweise sogar grosse Händler. Heute unvorstellbar – wegen der Einheitsmotoren von Honda.

Ich kann das auch nicht richtig nachvollziehen. Nach den ersten zwei Moto2-Jahren gab es eine Umfrage, ob man dieses Konzept beibehalten sollte. Jetzt wurde der Deal um drei weitere Jahre verlängert, diesmal ist keiner gefragt worden. Einheitsreifen und Einheits-Elektronik hätte man beibehalten können. Aber eine Markenvielfalt bei den Motoren, das wäre eine saubere Sache.
Auch wenn ich mich am Anfang gegen die Moto3-Klasse gewehrt habe, sie ist trotzdem anspruchsvoller, als ich gedacht habe. Dort kann man als Techniker noch etwas machen. In der Moto2 sind uns die Hände völlig gebunden.
Ich habe bei diesen 600-ccm-Motoren immer Bauchweh, denn sie sind ausgereizt. Sie sind nicht dafür gebaut waren, wie diese Jungs jetzt auf der Rennstrecke mit ihnen umgehen.
Wenn ein Fahrer mit 180 in die Wiese rausschiesst, weil ihm wieder die Gänge rausgesprungen sind, schwätzt kein Mensch davon. Es sind deswegen schon viele Stürze passiert.

Warum werden die fünf, sechs grössten Teams nicht bei der Dorna und IRTA vorstellig, um auf den Putz zu hauen? Die Teams finanzieren die Show, also sollten sie mehr Mitspracherecht haben?

Es kommt immer ein bisschen aufs Streckenlayout an. Aber in Silverstone zum Beispiel ist es ganz extrem. Dort haben sich letztes Jahr einige Teams beschwert, wir auch. Sandro ist dort auch mal geradeaus geschossen, weil ihm der Gang rausgesprungen ist. Marc Márquez hat dort 2010 schon mal ein Motorrad komplett zerstört, weil ihm im Warm-up der Gang rausgesprungen ist. Ich weiss nicht, wem es sonst noch alles passiert ist. Das Problem ist bekannt, aber niemand reagiert. Der Firma ExternPro kann man da keinen Vorwurf machen, sie ist nur für die Wartung und die Revisionen der Motoren zuständig.

Trotzdem müssen sich die Teams vier weitere Jahre mit diesen Serienmotoren abmühen?

Ja, ich weiss auch nicht... Das ist halt so.
Es sagen immer alle, dieses Konzept sei finanziell ein voller Erfolg.
Ich will jetzt die 250er-Klasse nicht schönreden. Aber für die Privatteams waren sie sicher billiger als die Moto2. Die ist nur für die Werksteams oder Spitzenteams billiger geworden.
In der 250er-Zeit haben sich die Privatteams einen gebrauchten Production-Racer von Aprilia oder Honda gekauft um 65.000 Euro. Dann hat man für 40.000 Euro bei Aprilia noch einen Kit geleast. Du hast noch für 100.000 Euro Ersatzteile gekauft, das war's für eine Saison. Damit konnte man mit kleineren Budgets in den Top-Ten mitfahren. Heute kosten die Motoren allein für die Rennsaison 60.000.- Und die Zweitakter konnte man selber revidieren. Das war ja das Schöne dran. Aber wir sollten den alten Zeiten nicht ewig nachweinen.
Sie sollen es machen, wie sie wollen.

Aprilia hatte in der 250er-WM am Schluss quasi ein Monopol. So konnten sie es sich leisten, beim Caffè-Latte-Team von Tom Lüthi drei Jahre lang Leasingraten von 1,3 Mio Euro zu kassieren, trotz gestoppter Weiterentwicklung.

Ja, ja, damals war Aprilia am Schluss so überlegen, dass es fast langweilig war.
Trotzdem: 500er-Zweizylinder, das wäre eine Superidee für die Moto2 gewesen. Honda, Mahindra, KTM und Husqvarna hätten dann sogar die Komponenten aus der Moto3 verwenden können.
Bei Eskils Konzept wären die schnellsten Moto2-Fahrer schneller gewesen als die schwachen MotoGP-Fahrer. Das wäre ja auch nichts. (Er lacht).

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