Honda ohne Marc Márquez: Die Folgen der Versäumnisse
Weltmeister Marc Márquez: Er fuhr nur den halben Samstag, dann packte er ein
Der spanische Repsol-Honda-Teamprinzipal Albert Puig reagierte beim zweiten Jerez-GP am 25. Juli 2020 ziemlich unwirsch auf eine durchaus berechtigte Frage des ehemaligen Rennfahrers Simon Crafar, der jetzt als sachkundiger Boxen-Reporter von motogp.com tätig ist.
Denn schon beim ersten Grand Prix ohne Marc Márquez zeigte sich, dass HRC ohne den spanischen Superstar auf verlorenem Posten steht. Also erkundigte sich Crafar bei Puig: «Braucht Honda den besten Fahrer der Welt, um dieses Bike flott um die Ecken zu bringen?»
Puig, 1997 selbst 500-ccm-GP-Sieger in Jerez, konnte seine Entrüstung nicht verbergen. Er wirkte ungehalten, bei Honda wird jede kritische Frage als Majestätsbeleidigung empfunden. Die Antwort von Puig bestätigte diesen Vorwurf. «Ich gebe darauf nur eine kurze Antwort», schnaubte er. «Wir haben die letzten sieben Weltmeisterschaften gewonnen.»
Diese Behauptung war leicht übertrieben, denn 2015 räumte Yamaha mit Jorge Lorenzo und Valentino Rossi den Fahrer-WM-Titel, die Team-WM und die Marken-WM ab.
Puig ergänzte dann: «Im Motorsport geht es ums Gewinnen. Wir haben ein gewisses Paket, und das ist so, wie es ist.»
Ja, und wenn man aus heutiger einen Blick auf die Situation in der MotoGP-WM wirft, dann bestätigt sich, was SPEEDWEEK.com in den letzten Jahren mehrmals angeprangert hat: HRC hat die Nachwuchspflege in der MotoGP vernachlässigt und ist damit ungeschoren davon gekommen, weil Marc Márquez alle Schwächen der RC213V jahrelang mit seiner Einsatzbereitschaft, seiner Fahrzeugbeherrschung und seinem Können übertüncht hat.
Während Ducati Fahrer wie Iannone, Miller, Petrucci und Bagnaia förderte und sich jetzt Jorge Martin angelte, während sich Suzuki mit Rins und Mir zwei ehemalige Honda-Fahrer einverleibte und Yamaha mit Viñales, Folger, Zarco und Quartararo die nächste Generation aufbaute, während sogar Neuling KTM mit Fahrern wie Oliveira und Binder Eigenbau-Fahrer an die Weltspitze brachte, ließ Honda neben Márquez ab 2013 die 30+-Fahrergeneration Pedrosa und Crutchlow agieren. Miller wanderte nach drei HRC-Jahren zu Ducati ab, weil ihm HRC kein Vertrauen mehr schenkte.
Statt eines Ausnahmekönners wie Quartararo oder Mir wurde dann der 33-jährige Spanier Lorenzo für 2019 zu Repsol-Honda geholt, der dann keinen Top-Ten-Platz zustande brachte, weil das Bike offenbar wirklich für Marc Márquez maßgeschneidert worden war.
Seinen Platz bekam dann für 2020 Alex Márquez, der schon in der Moto2-WM fünf Jahre bis zum Titelgewinn gebraucht hat. Aber Honda wollte den Wunsch von Bruder nicht im Weg stehen. Und wkirklich überzeugende Alternativen gab es durch die Versäumnisse der Vergangenheit sowieso nicht.
Honda: Planlose Nachwuchsförderung
Der größte Motorradhersteller der Welt hat trotz der vielen starken Moto3-Teams, trotz European Cup, British und Asian Talent Cup, trotz neun Moto2-Jahren als Lieferant der CBR-600-RR-Einheitsmotoren und Honda-MotoGP-Kundenteams von Gresini über Marc VDS, Aspar bis zu LCR seit Marc Márquez 2013 kein überzeugendes Talent an die MotoGP-Spitze gebracht. Taka Nakagami ist inzwischen 28 Jahre alt, Jack Miller immer noch 25.
LCR-Honda sollte eigentlich das Junior-Team von Honda bilden, aber Cal Crutchlow ist 34 Jahre alt und redet seit zwei Jahren vom Aufhören.
Jahrelang hat Marc Márquez 30 Stürze im Jahr mit leichten Blessuren überstanden. Nach seinem Oberarmbruch beim ersten Rennen in Jerez bekommt Honda jetzt die Quittung für diese riskante Strategie mit einem Nummer-1-Fahrer, dem alles untergeordnet wird.
Aber es ging jahrelang gut. Márquez hat 2019 für Repsol-Honda die Team-WM und für Honda die Marken-WM quasi im Alleingang gewonnen.
Und klar, viele der Versäumnisse passierten bei HRC in der Ära Nakamoto und Suppo. Aber deren Nachfolger wie Takeo Yokoyama, Tetsuhiro Kuwata und Shinichi Kokubu bis zu Puig haben in drei Jahren den Weg konsequent fortgesetzt und ihn nicht nachhaltig repariert.
Jetzt gibt es nichts mehr zu beschönigen. Bisher fehlt Honda ein Podestplatz 2020. Der aktuelle WM-Stand nach 3 von 14 Rennen spricht Bände: 8. Nakagami, 27 Punkte. 13. Alex Márquez, 13 Punkte. 19. Cal Crutchlow, 6 Punkte. Weltmeister Marc Márquez hält bei null Punkten, WM-Leader Fabio Quartararo hat 59 von maximal 75 eingesammelt.
Die Honda-Startplätze von Brünn: 12. Crutchlow, + 1,110 sec. 17. Nakagami. 20. Bradl. 21. Alex Márquez.
Man kann sich ausmalen, dass bei den HRC-Managern die Gute-Laune-Stimmung verflogen ist.
Cal Crutchlow hätte das Zeug für Spitzenplätze, aber er ist nach dem Kahnbeinbruch angeschlagen, außerdem wird er am Jahresende ausgemustert, denn bei LCR fahren 2021 Nakagami und Alex Márquez. Cals Einsatzbereitschaft wird keinen neuen Höhepunkt mehr erreichen. Bei LCR versteht diese Fahrer-Politik niemand, denn Cal hat immerhin drei GP-Siege errungen.
Ein alter Hut: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu Sorgen.
Wer sich in den letzten Tagen in der MotoGP-Szene umhörte, bekam höhnische Kommentare zu hören.
«Honda hat mit Pol Espargaró den falschen KTM-Fahrer engagiert», sagte mir ein Journalisten-Kollege nach Brad Binders Triumph in Brünn. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob sich Pol mit dem Wechsel zu HRC einen Gefallen getan hat.
Kein Wunder, wenn über die selbstherrliche Repsol-Honda-Truppe bereits gespottet wird.
«Wahrscheinlich wird Honda nächstes Jahr statt KTM von den ‚concession teams‘-Privilegien profitieren», ätzte in renommierter TV-Berichterstatter.
Zur Erinnerung: Als «concessions team» wird jeder MotoGP-Hersteller eingestuft, der in einer Saison nicht mindestens sechs «concessions points» ergattert. Drei werden für einen GP-Sieg verteilt, zwei für Platz 2 und einer für Platz 3.
Honda, Suzuki und Aprilia haben 2020 noch keinen Konzessionspunkt ergattert. Honda liegt in der Konstrukteurs-WM nur an vierter Stelle!
Hersteller, die ein Jahr lang in der MotoGP-WM keine sechs Konzessionspunkte ergattern, genießen gewisse Privilegien. Ihre Motorenentwicklung bleibt nach dem Saisonstart nicht eingefroren, sie dürfen beliebig viel testen, ihre Testfahrer dürfen maximal fünf statt drei Wildcard-Einsätze absolvieren, sie bekommen zwei Motoren pro Fahrer und Saison mehr als die erfolgreichen Factory Teams.
Natürlich wird Honda am Saisonende sicher viel besser dastehen als jetzt.
Denn Marc Márquez wird es richten, wenn ihm das Team ausreichend Zeit zur Genesung gibt und ihn nicht wieder zu früh ins Verderben hetzt wie vier Tage nach der OP beim Andalusien-GP.
Dort hätte die Teamführung ein Machtwort sprechen und den Weltmeister vor sich selbst schützen müssen.
Aber wenn man nur ein erstklassiges Pferd unter Vertrag hat, will man es nicht im Stall lassen.
Wie gesagt: Eine nicht sehr weitsichtige und manchmal verantwortungslose Politik.
WM-Stand nach 3 von 14 Rennen:
1. Quartararo, 59 Punkte. 2. Viñales 42. 3. Morbidelli 31. 4. Dovizioso 31. 5. Binder 28. 6. Zarco 28. 7. Rossi 27. 8. Nakagami 27. 9. Miller 20. 10. Rins 19. 11. Pol Espargaró 19. 12. Oliveira 18. 13. Alex Márquez 13. 14. Mir 11. 15. Petrucci 11. 16. Bagnaia 9. 17. Rabat 7. 18. Aleix Espargaró 6. 19. Crutchlow 6. 20. Smith 5.
Konstrukteurs-WM nach 3 von 14 Rennen:
1. Yamaha 70. 2. KTM 44. 3. Ducati 42. 4. Honda 27. 5. Suzuki 24. 6. Aprilia 11.