Michelin-Rennchef Goubert: «Auf allen Pisten testen»
Nicolas Goubert von Michelin steuert die MotoGP-Rückkehr der Franzosen
Nicolas Goubert, Technical Director von Michelin, hat sich persönlich Ende 2006 aus der MotoGP-WM zurückgezogen und sich beim französischen Reifenhersteller dann um andere Projekte wie die Formel 1 und WRC gekümmert.
Michelin zog sich Ende 2008 als Reifenhersteller aus der MotoGP-WM zurück, seither agierte Bridgestone als Lieferant der Einheitsreifen.
Jetzt bereitet sich Michelin auf die MotoGP-Rückkehr 2016 vor, die ersten Testfahrten von Honda (mit Shinichi Itoh), Yamaha (Colin Edwards) und Ducati (Michele Pirro) haben in Japan und Brünn bereits stattgefunden.
Colin Edwards soll in Motegi nur 0,6 sec auf die beste Rennrundenzeit von 2013 verloren haben.
Michelin war nicht interessiert, als die Dorna für 2009 in der MotoGP-WM die Einheitsreifen einführte. Bridgestone bekam zuerst einmal den Zuschlag für die drei Jahre 2009, 2010 und 2011, es folgte ein zweiter Drei-Jahres-Vertrag, zuletzt wurde der Deal noch für 2015 verlängert.
Während Bridgestone auf 16,5-Zoll-Reifen setzt, entwickelt Michelin eine neue Generation von 17-Zoll-Reifen, weil diese auch im Strassenverkehr dominieren.
«Die Rennszene war für uns immer schon eine willkommene Plattform für die Entwicklung neuer Technologien», sagte Goubert beim Aragón-GP beim Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com. «Die MotoGP-WM ist eine ausgezeichnete Technologie-Plattform für uns, erstens aus Imagegründen, zweitens weil hier die besten Motorradrennfahrer der Welt mitfahren, die sehr präzise Angaben für die Reifenentwicklung machen können. Wir werden 17-Zoll-Reifen erzeugen, weil damit der Technologie-Transfer zur Serie am einfachsten ist. Die Motorradindustrie hat wenig Interesse an 16,5-Zoll-Reifen. Die Herstellung von 16,5-Zoll-Motorradreifen kann sogar gefährliche Auswirkungen haben. Man kann sie nämlich versehentlich auf 17-Zoll-Räder montieren... Aber sobald du dann mit dem Strassenmotorrad losfährst, führt das unweigerlich zu einem Sturz.»
Bei Michelin gab es einen Meinungsumschwung, die Abneigung gegenüber Einheitsreifen ist verschwunden. Nicolas Goubert hat sich auch zu dieser Frage im Gespräch mit SPEEDWEEK.com geäussert.
Die Bilanz von Michelin ist umwerfend: Von 1976 bis 2006 wurden in der Königsklasse (500 ccm und MotoGP) 26 WM-Titel und 360 GP-Siege errungen.
Nicolas, Michelin ist Ende 2006 aus der Formel 1-WM ausgestiegen, als die Einheitsreifen kamen. In der MotoGP-WM ist Ende 2008 das Gleiche passiert. Michelin wollte unbedingt den üblichen Reifenkrieg. Warum habt ihr eure Meinung geändert?
Wir sind 2011 in die Rallye-WM (WRC) eingestiegen und dachten, wir sind jetzt zurück in einer namhaften Meisterschaft und kämpfen dort mit anderen Reifenherstellern. Aber am Ende des Tages sind die Reifenfirmen, die vor 2011 dabei waren, ausgestiegen. Wir haben eigentlich erwartet, dass sie alle dabei bleiben...
Es lag also nicht an uns, dass wir dann drei Jahre lang fast alle WRC-Autos ausgerüstet haben.
Gleichzeitig gab es aber ein FIA-Reglement, das uns vorschrieb, die Reifenentwicklung in der WRC voranzutreiben. Sie haben sich gewünscht, dass wir die Lebensdauer der Reifen jedes Jahr um 20 Prozent rhöhen. Das ist uns gelungen, wir haben aber dadurch bei den Zeiten keine Performance eingebüsst.
Dadurch haben wir bei Michelin eingesehen, obwohl wir in der WRC so gut wie allein waren, dass wir trotzdem die Technologien weiterentwickeln können, wenn wir uns die richtigen Ziele setzen und uns dazu zwingen, die richtigen Reifen zu entwickeln.
Du erinnerst dich ja an die 500er-WM in den späten 1990er-Jahren, als wir auch fast alle Teams und Fahrer ausgerüstet haben. Trotzdem ist bei uns die Entwicklungsarbeit nie stillgestanden, wir haben immer entwickelt und die Reifenperformance verbessert.
Als wir im letzten Winter gehört haben, dass es in der MotoGP-WM eine neue Ausschreibung für die Einheitsreifen 2016 gibt, haben wir uns gesagt: «Hey, das ist eine gute Plattform. Selbst wenn wir allein sind.»
Wir würden es zwar auch jetzt noch bevorzugen, wenn wir Mittbewerber hätten. Aber auch für einen Alleinrüster – die MotoGP ist eine einwandfreie Plattform für uns.
Wer wird am Rennplatz 2016 für Michelin den Rennservice betreiben?
Wir haben eine Ausschreibung gemacht und warten auf Angebote. Dann entscheiden wir, welche Firma den Auftrag bekommt.
Werdet ihr Reifentechniker von Bridgestone übernehmen?
Nein, das ist nicht vorgesehen. Wir haben für die Logistik und so weiter immer Werkverträge mit freien Mitarbeitern abgeschlossen. Was die Techniker betrifft, will ich keine Leute haben, die für Mitbewerber gearbeitet haben.
Ich weiss, jetzt sind gute Techniker am Werk sind. Aber wir werden neue Fachleute bringen.
Colin Edwards hat die neuen Michelin-MotoGP-Reifen in Motegi getestet und erzählt, er sei nur 0,6 sec über den besten Rennrundenzeiten aus dem letzten Jahr geblieben.
Wir sind froh, dass Colin wieder Reifentests für uns macht. Er war sehr stolz auf seine Zeiten... Aber ich will mich nicht mit Zeiten brüsten. Ich möchte nur sagen: Es ist gut gelaufen.
Honda liess den inzwischen 48 Jahre alten Shinichi Itoh testen. Macht das Sinn?
Naja, für den ersten Test war es okay. Am Anfang geht es in erster Linie darum, das Motorrad an die 17-Zoll-Reifen anzupassen.
Werden bei der Fahrwerksgeometrie und beim Chassis grosse Änderungen nötig, wenn 17-Zoll-Räder reingesteckt werden statt 16,5-Zoll?
Ich würde sagen, der Unterschied zwischen den Reifenfirmen ist grösser als der Unterschied bei der Reifendimension, also von 16,5 auf 17 Zoll. Aber vorläufig ist es noch schwierig einzuschätzen, wie gravierend sich die Reifengrösse auswirkt.
Brigestone hat im Vorjahr mit dem neuen Reifenbelag in Phillip Island ein Desaster erster Güte erlebt. Die Hinterreifen hielten maximal zehn Runden, deshalb musste die Distanz verkürzt und nach maximal zehn Runden ein Motorradwechsel gemacht werden. Michelin muss dringend in Australien testen?
Wir haben jetzt den neuen GP-Kalender für 2015. Jetzt können wir einen passenden Termin für einen Test in Phillip Island suchen. Jetzt können wir planen, wann wir wo testen und wann Bridgestone testen wird.
Phillip Island ist eine Strecke, auf der wird unbedingt testen werden.
Auf immer mehr Rennstrecken werden Dual-Compound-Reifen verwendet, die links und rechts unterschiedlich hart sind, je nach der Anzahl der Links- und Rechtskurven. Sind solche Reifen auch bei Michelin geplant?
Für die Hinterreifen auf jeden Fall, da muss man Dual-Compound haben.
Wir haben mit dieser Methode begonnen. Wir haben den Startschuss zu Dual-Compound gegeben.
Wir haben schon Mitte der 1990er-Jahre erstmals die Dual-Compund-Technologie verwendet. Für Daytona, für das 200-Meilen-Rennen. Das ist ist eine Piste, wo du solche Reifen brauchst.
Als die MotoGP-Viertakt-Ära begann, das war 2002, haben wir die Dual-Compound auf fast jeder Strecke eingesetzt.
Zur Blütezeit des Reifenkriegs gegen Bridgestone in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts hat Michelin den euroäpischen Standortvorteil genützt und manchmal nach dem ersten Trainingstag in Clermont-Ferrand über Nacht neue Reifen produziert und sie in einem Kleintransporter für das Samstag-Training an die Rennstrecke gekarrt – bis Spanien oder Assen. Wird das auch 2016 vorstellbar sein?
Das will keiner... Jetzt stehen wir vor einer anderen Herausforderung. Sie ist unterschiedlich zu 2007 oder 2008. Die Herausforderung besteht jetzt darin, den Teams eine Bandbreite von Reifen anzubieten, die problemlos zu handhaben sind und für die verschiedenen Pisten gut geeignet sind.
Wir haben nicht die Absicht, die Reifen von einem Rennen zum andern und von einer Strecke zu ändern.
Wir werden nicht der letzten Zehntelsekunde nachjagen.
Wie viele unterschiedliche Konstruktionen und Mischungen und Reifentypen wird man für 18 Grand Prix brauchen?
Vorne reden wir über ungefähr sechs Mischungen. Hinten wissen wir es noch nicht genau. Die ideale Situation wäre so etwas Ähnliches wie Bridgestone macht. Wichtig ist, dass man Ärger vermeidet...
Wir werden etwas suchen, was die meisten Teams bei allen erdenklichen Situationen passt.
Wir wollen die Teams und Fahrern nicht in Schwierigkeiten bringen, wenn es kalt ist. Wir wollen die Teams und Fahrer nicht in Probleme stürzen, wenn es heiss ist. Oder wenn wir nach Phillip Island gehen. Wir brauchen also eine gewisse Anzahl vor Variationen, auch bei den Hinterreifen.
Wir sind 2008 aus der MotoGP-WM ausgestiegen. Deshalb gibt es GP-Strecken wie Austin und Las Termas, auf denen wir noch nie gefahren sind.
Wir wollen 2015 auf allen Pisten fahren und testen. Dadurch werden wir gewappnet sein für die Saison 2016.