Wilco Zeelenberg: Was er zum Lorenzo-Abgang sagt
Wilco Zeelenberg
Seit 2010 agiert Wilco Zeelenberg (er gewann 1990 den 250-ccm-GP auf dem Nürburgring auf einer Honda NSR 250) als Teammanager im Yamaha-Werksteam an der Seite von Jorge Lorenzo. Bei Valentino Rossi wird diese Rolle von Massimo Meregalli ausgefüllt.
Nach erfolgreichen und gemeinsamen sieben Jahren dürften sich die Wege von Lorenzo und Zeelenberg nach dieser Saison trennen.
Yamaha hat einen der begehrtesten Arbeitsplätze in der MotoGP-Klasse zu vergeben.
Wilco, wann hast du erstmals gespürt, dass Ducati bei Jorge Lorenzo ein ernsthaftes Thema wird? In Texas hast du dir jedenfalls keine Illusionen mehr gemacht?
Ahhh... Ich denke, ich habe mir im März beim Katar-GP Sorgen gemacht, weil die Ducati dort sehr konkurrenzfähig waren. Dort ist mir klar geworden, dass etwas passieren könnte.
Jeder weiss, dass Ducati seit 2008 oder 2009 hinter Jorge her war. Der Kontakt ist nie abgebrochen. Aber im Grunde hatten sie nie ein Paket wie heute.
Ausserdem befindet sich Jorge jetzt an einem anderen Zeitpunkt seiner Karriere. Er wird bald 29 Jahre alt sein, er hat noch ein paar Jahre vor sich.
Jorge hat nie zu mir gesagt: «Ich werde nächstes Jahr in Rot fahren.» Aber ich habe kapiert, was vor sich geht.
Hast du versucht ihn umzustimmen? Hast du ihm klar gemacht: Die Yamaha ist das bessere Package für deinen Fahrstil?
Ja, natürlich habe ich mit ihm gesprochen. Aber ich habe weder in Katar noch in Argentinien oder Texas mit ihm gesprochen. Ich wollte diese Diskussion mit ihm nicht während der Saison führen.
Jorge hat bei den ersten drei Rennen auch nie eine Frage zu diesem Thema an mich gerichtet. Denn er kannte meine Meinung. Wir haben im Winter darüber gesprochen, ich habe ihm meine Ansicht mitgeteilt. Ich habe ihn daheim privat besucht.
Ich habe Jorge folgendes vermittelt: «Die Yamaha ist im Grunde auf dich massgeschneidert. Sie ist sanft und flüssig zu fahren, der Motor hat eine sehr angenehme Leistungsentfaltung.»
Aber wir müssen auch einen Blick auf die andere Seite werfen: Die Ducati ist stark verbessert worden. Jeder kann damit schnell fahren. Das war seine Ansicht und sein Standpunkt.
Und ich muss zugeben: Ducati hat das Bike konkurrenzfähig gemacht.
Wird Jorge Lorenzo ein paar Schlüsselfiguren wie Crew-Chief Ramon Forcada und seinen niederländischen Teammanager nach Italien mitnehmen?
Gut, darauf will ich keine Antwort geben. Mein Ziel ist es, bei Yamaha zu bleiben. Ich bin seit vielen Jahren hier. Das habe ich Jorge auch klar gemacht.
Du bist schon einige Ewigkeit bei Yamaha unter Vertrag. 15 Jahre? Du bist ja die Supersport-WM auf Yamaha gefahren?
Richtig. Ich bin im Jahr 2000 in meiner letzten Saison bei Yamaha die Supersport-WM gefahren. 2001 habe ich begonnen, mit Yamaha Motor Europe als Technical Director in der Racing Division in Amsterdam zu arbeiten, mit Laurens Kleinkoerkamp.
2008 bin ich Teammanager in der Supersport-WM geworden, 2009 ebenfalls. Und 2010 bin ich für Yamaha zu Jorge in die MotoGP-WM gekommen.
Du hast zuletzt schon beim Texas-GP erklärt: Es wird nicht einfach, Jorge bei Yamaha würdig zu ersetzen.
Das ist wahr. Auf der einen Seite werde ich keinen Freund verlieren, denn Jorge wird zwar nächstes Jahr in Rot gekleidet sein, das wird aber unsere Freundschaft nicht belasten. Wir kommen gut miteinander aus, wir haben eine sehr enge Beziehung. Daran wird sich nichts ändern. Wir werden diese Freundschaft aufrechterhalten. Ich bin ein Profi, das weiss er. Jorge weiss, wie ich denke. Natürlich bereue ich, dass er nach dieser Saison weg sein wird.
Denn es wird sehr schwierig oder gar unmöglich sein, ihn zu ersetzen.
Aber es kann auch für dich eine schöne neue Herausforderung sein, einen Ausnahmekönner wie Maverick Vinales zum WM-Kandidaten auszubilden?
Ja, exakt. So ist es.
Vinales ist zwar noch kein neuer Márquez oder Lorenzo. Aber es gab in den letzten zehn Jahren nicht viele Fahrer, die ihm das Wasser reichen konnten. Er ist ein zukünftiger MotoGP-Weltmeister – sagt auch Rossi.
Man kann schwer Vergleiche anstellen. Als Jorge in die MotoGP-WM kam, fuhr er sofort dreimal Pole-Position, er war nach wenigen Rennen WM-Leader. Er hat ähnlich abgeschnitten wie Márquez fünf Jahre später. Das war ziemlich aussergewöhnlich.
Trotzdem sind Vergleiche immer holprig. Klar, der Level war auch 2008 hoch. Aber es gab weniger Werke und weniger Spitzenfahrer als heute. Es gab bei den Motorrädern keine so grosse Ausgeglichenheit. Ausserdem herrschte Reifenkrieg: Die Reifen konnten also die Kräfteverhältnisse verfälschen.
Aber ich mache mir jetzt über den Nachfolger keine grossen Gedanken. Mein Ziel für 2016 ist wichtiger. Wir wollen mit Jorge den vierten WM-Titel zu gewinnen.
Wir wissen, wie der Rennsport funktioniert. Man muss jede Saison gesondert betrachten. Also kümmern wir uns jetzt um 2016. Und da wollen wir den Weltmeistertitel sicherstellen.
Jorge Lorenzo hat bei Yamaha gespürt, dass er immer im Schatten von Valentino Rossi stand. 2015 drückten die Topmanager insgeheim für Rossi die Daumen, denn seine Erfolge lassen sich besser vermarkten.
Die Situation, wenn Valentino dein Teamkollege ist, und daran wird sich nichts ändern: Du fühlst dich immer als Nummer 2.
Aber schliesslich ist Jorge der Weltmeister.
Aber Rossi hat mehr Fans, das ist bei jedem Rennen auf der ganzen Welt zu sehen. Keiner ist so beliebt wie der Italiener.
Ja, richtig, das ist unbestritten. Aber daran wird sich auch nichts ändern, wenn Jorge bei Ducati ist. Vale ist Vale. Du kannst Jorge nicht wirklich ersetzen – und das Gleiche gilt für Vale.
Aber Jorge Lorenzo hat 2015 klar gespürt, dass Yamaha heimlich auf Rossis Seite war.
Ja, das ist aber nicht der Hauptgrund für den Weggang von Jorge. Der Hauptgrund ist: Er sucht eine neue Herausforderug. Du läufst nicht weg, weil der Teamkollege populärer ist. Das ist für mich klar.
Jorge hat zugegeben, dass es eine grosse, grosse Entscheidung war. In so einer Situation läufst du nicht bei einem Werksteam weg, weil ein paar Manager vielleicht heimliche Vorzüge haben.
Jorge weiss, dass Vale Millionen von Fans hat. Vale ist 37 Jahre alt und hat 20 Jahre darauf hingearbeitet. Valentino hat den geeigneten Charakter und genug Charisma dafür.
Jorge will sein Können in erster Linie auf der Rennstrecke beweisen. Das ist ihm bei Yamaha grossartig gelungen. Wir haben drei Titel gemeinsam gewonnen und hoffen, dass wir den vierten in diesem Jahr einsacken.
Wird die Ducati zum Fahrstil von Jorge passen? Rossi meint, Jorge sei ein überragende Könner, er werde gut mit der Desmosedici zurechtkommen. Ducati hat jetzt ein Alu-Chassis und seit 2015 eine gegenläufige Kurbelwelle, das Bike ist nicht mehr so unverzeihlich und brachial wie vor fünf oder zehn Jahren.
Ja, richtig. Hast du gesehen, wie viele Ducati-Fahrer bei den ersten Rennen in diesem Jahr vorne mit dabei waren? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ausgerechnet Jorge nicht an dieses Motorrad anpassen sollte. Alle anderen haben den Umstieg auch geschafft.
In der Vergangenheit, als Valentino dort war, konnte kein Fahrer die Ducati beherrschen. Alle Fahrer sind übers Vorderrad gestürzt. Das passiert nicht mehr.
Aber bei Ducati ist der Reifenverschliess höher. Das könnte zu Problemen führen. Bei Yamaha kann Jorge oft weichere Reifen verwenden als die Konkurrenz bei Ducati. Das hilft ihm.
Ja, so ist es. Aber wenn jemand besonders einfühlsam mit den Reifen umgeht, kann das auch hilfreich sein auf einer Ducati. Wenn einer sanft mit Reifen umgeht, handelt es sich um Jorge. Vielleicht wird er deshalb bei Ducati kein Reifenproblem haben.
Ich will da jetzt keine Prognosen abgeben.
Ich sehe keine dunklen Wolken über Jorge schweben, weil er jetzt zu Ducati wechselt.
Er wird auf jedem Motorrad schnell sein. Ob er mit Ducati Weltmeister werden kann? Ducati hofft es. Wir hoffen es nicht. (Er lacht).
Gibt es einen Fahrerkandidaten, der bei dir Vorrang hat?
Dafür bin ich nicht zuständig. Darum kümmert sich Lin Jarvis. Wir brauchen einen neuen Fahrer. Yamaha muss also mit allen Anwärtern reden; dann müssen sie sich für den richtigen Fahrer entscheiden. Ich gebe keine Tipps dazu ab. Ich habe keinen bevorzugten Fahrer.
Ich blicke mit Zuversicht in die Zukunft. Jorge wird noch zwei oder drei Jahre in der MotoGP fahren. Wir hätten also irgendwann sowieso einen Ersatz suchen müssen.
Es kann eine reizvolle und dankbare Herausforderung sein, einen jungen Fahrer an die Spitze zu bringen.