Formel-1-Zweisitzer: Neuer Look beim Barcelona-GP
Der langjährige Minardi-Teambesitzer Paul Stoddart nennt das Zweisitzer-Projekt «das elfte Team der Formel 1». Tatsächlich hat «Formula One Management» (FOM) in der Boxengasse eine komplette Infrastruktur zum Einsatz des Renners aufgebaut. Hier stehen nicht nur die beiden Zweisitzer, mit welchen staunende Gäste um den Kurs gepfeffert werden. Hier können die Gäste der «Formula 1 Experience» auch einen Blick hinter die Kulissen werfen, was zum Einsatz eines Grand-Prix-Renners alles notwendig ist.
Der Engländer Mike Gascoyne (55) hat als rechte Hand des unvergessenen Dr. Harvery Postlethwaite (am 15. April 1999 einem Herzanfall erlegen) jenen Tyrrell 026 entworfen, auf dessen Design die späteren Minardi-Zweisitzer von Paul Stoddart gründen. Gascoyne kehrte erstmals seit seiner Rolle als Technischer Direktor bei Caterham 2012 ins Formel-1-Fahrerlager zurück. Zuvor hatte er diese Rolle auch bei Jordan, Benetton, Toyota und Force India inne. Formel-1-Grossaktionär Liberty Media will mit der «Formula 1 Experience» den Besuch der GP-Fans aufpeppen, der Einsatz der Zweisitzer ist fester Bestandteil davon.
Alle reden wir immer vom Minardi-Zweisitzer – denn die Autos fuhren meist in den Farben des einst von Giancarlo Minardi gegründeten Rennstalls, der später vom Melbourner Paul Stoddart inhaliert wurde. Stoddart gab den Auftrag zum Bau der Zweisitzer. Aus seinem Team ging Ende 2005 Toro Rosso hervor. Aber im Grunde müssten wir vom Tyrrell-Zweisitzer sprechen, denn der Renner basiert auf jenem GP-Auto, mit dem in der Formel-1-Saison 1998 der Japaner Toranosuke Takagi und der Brasilianer Ricardo Rosset fuhren!
Es war die letzte Saison von Tyrrell, bevor aus dem Rennstall «British American Racing» (BAR) wurde. Kurios: Aus BAR wurde das Honda-Werksteam, aus dem Honda-Werksteam, als sich die Japaner 2008 aus der Formel 1 verabschiedeten, BrawnGP, wo Jenson Button 2009 Weltmeister wurde, dann ging das Team in Besitz von Mercedes über, ein Programm, das mit den WM-Titeln 2014 bis 2016 gekrönt wurde. Wenn wir so wollen, ist der Tyrrel ein Urahn des heutigen Mercedes-Silberpfeils!
Zurück zu Paul Stoddart, der nach dem Verkauf von Minardi an Red Bull das Zweisitzerprogramm stets weiterbetrieben hat. Für ihn war klar: Wenn es darum geht, den ungewöhnlichen Rennen für 2018 flott zu machen, dann kann es nur einen für diesen Job geben – Mike Gascoyne. Mike erzählt: «Das wirklich Witzige ist, dass ich für Paul Rennen gefahren habe, in der BOSS-Serie für historische GP-Renner, das war mit einem Tyrrell 022. Und ich fuhr sogar den Zweisitzer, das war in Donington und hat unheimlich Spass gemacht. Paul hat mich dann angerufen und gefragt, ob ich mich um die technische Seite der Zweisitzereinsätze kümmern wolle. Es schliesst sich ein Kreis, weil ich damals half, den Tyrrell zu entwerfen und weil ich selber den Zweisitzer bewegt habe.»
Seit 1998 hat sich die Formel 1 rasant entwickelt. Der Zweisitzer erzeugt zwar wegen des herrlichen Saugmotor-Sounds lange Hälse, wo immer er gefahren kommt, aber das Design war gemessen an den heutigen Rennern ein wenig verstaubt. Mike weiter: «Wir wollten den Wagen einen etwas moderneren Look verpassen. Aber es gab auch andere Bereich, wo ich den Hebel ansetzte, etwa bei der Standfestigkeit. Wir haben dem Auto ein neues Aerodynamikpaket spendiert. Wir bauten zudem zwei ganz neue Chassis, um auch etwas kräftiger gebaute Passagiere ins Auto zu bringen. Wir haben eine völlig frische Elektronik, das war bei den Einsätzen der grösste Sorgenpunkt bezüglich der Zuverlässigkeit. Wir wollten zudem verschiedene Kameras einbauen, so dass der Gast die Möglichkeit erhält, Filmaufnahmen von sich im Zweisitzer mit nach Hause zu nehmen.»
Das Ergebnis in Barcelona: Neuer, aufregender Frontflügel, moderne seitliche Luftleit-Elemente, nach hinten geneigter Frontflügel. Mike am Donnerstagmorgen am Circuit de Barcelona-Catalunya: «Ich bin mit der Arbeit zufrieden.» Dann grinst der Brite über die filigrane Frontflügelaufhängung augenzwinkernd: «Ich hoffe, der Flügel ist nach dem ersten Einsatz noch dran.»
Ein altes Problem des Zweisitzers: Der Passagier sieht unmittelbar hinter dem Überrollbügel des Fahrers wenig. Mike: «Das wollten wir korrigieren. Wir haben die Wand zwischen Pilot und Passagier verkleinert, ohne die Sicherheit zu kompromittieren. Diese Autos sind über all die Jahre vor allem deshalb so gut gelaufen, weil sie überaus stark konzipiert worden sind. Früher haben wir das alles mit dem Taschenrechner kalkuliert, heute befindet sich die Belastungsanalyse auf einem sehr hohen Niveau.»
Immer wieder wird gefragt, ob der Zweisitzer anders motorisiert werde. Mike erklärt: «Die neuen Antriebseinheiten sind unfassbar komplex, alleine die Hydraulik erfordert einen Riesenaufwand, vom Rest ganz zu schweigen, das würde die Kosten komplett ausurfern lassen.»
Zudem würden wir so den grandiosen Sound verlieren. Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner sagt: «Den besten Sound der modernen Formel 1 bietet ausgerechnet ein uraltes Auto – der Zweisitzer mit dem V10-Saugmotor im Heck. Wenn du die Gesichter der Fans siehst, dann weisst du, was das Heulen für sie bedeutet.»