Formel 1: Ohrfeige für Gegner von Verstappen

Technik 2019: Autos langsamer, Überholen einfacher

Von Mathias Brunner
​Formel-1-Techniker Nikolas Tombazis und Rennchef Charlie Whiting über Änderungen für 2019: Die Autos werden 1,5 Sekunden pro Runde langamer, aber sie werden mehr Überholmanöver ermöglichen.

Für 2019 werden die Formel-1-Renner in mehreren Bereichen geändert, die erhebliche Auswirkungen haben werden. Obschon einige Rennställe dagegen waren, werden für 2019 die Frontflügel vereinfacht und die Wirkung des verstellbaren Heckflügels verstärkt.

Die Abtriebsverteilung an einem modernen GP-Renner: Rund ein Viertel stammt vom Frontflügel, rund 15 Prozent vom Heckflügel, gut zwei Drittel vom Unterboden. Kommt ein Verfolger in die Nähe seines Gegners, dann wirken sich Luftwirbel schon mehr als 200 Meter hinter dem Vordermann negativ auf das Auto des Jägers aus. Bei hundert Metern lässt der Abtrieb auf den Frontflügel des Verfolgers krass nach. Mehr als die Hälfte des Abtriebs geht verloren, wegen Luftturbulenzen durch das vorausfahrende Auto. Die Wirbel durch den Heckflügel werden nach oben geleitet, das ist für den Verfolger kein grosses Problem. Turbulenzen durch Frontflügel, seitliche Luftleit-Elemente sowie die Räder bleiben jedoch bodennah und beeinträchtigen die Aerodynamik des verfolgenden Autos beträchtlich. Nun wird es für den Jäger immer schwieriger: Ist der Luftfluss auf seinen Frontflügel gestört, leidet die Aerodynamik des ganzen Wagens. Ergebnis: Es ist ganz schwierig, sich so nahe an den Vorausfahrenden heranzuarbeiten, um einen erfolgverheissenden Angriff zu fahren.

Einfachere Seitenplatten am Frontflügel zwingen die Luft so weit nach aussen, dass die Turbulenzen den Verfolger weniger benachteiligen. Eine grössere Klappe beim verstellbaren Heckflügel bewirkt, dass der Verfolger durch das so genannte DRS (drag reduction system) mehr Speed aufnehmen kann. Anders formuliert: Der Vordermann ist leicht im Nachteil.

Änderungen an der Frontflügelplatte und am Heckflügel sind bewilligt, weitere Änderungen an den seitlichen Luftleit-Elementen (barge boards) aber nicht. Die Bremsbelüftungen werden vereinfacht.

Wann erfahren wir eigentlich mehr Details über die neue Aerodynamik? Tombazis sagt: «Die Dimensionen sind schon klar, und darüber wurde auch abgestimmt. Am Sonntag hier in Spanien diskutieren wir mit den Teams, ob wir vielleicht noch Schlupflöcher drin haben. Nach dieser Sitzung werden die Regeln ausformuliert.»

Viele Fans fragen sich, was bedeutet das alles auf der Stoppuhr? Tombazis weiter: «Wir erwarten, dass die Autos ungefähr 1,5 Sekunden pro Runde langsamer werden. Aber das ist schwer zu sagen, weil unklar ist, wie viele Fortschritte die Rennställe mit den Autos machen.»

«Die Wirkung des „drag reduction systems“ DRS, also des verstellbaren Heckflügels, wird grösser, um rund 25 bis 30 Prozent, wie wir errechnet haben. Wir reden hier von der Veränderung bei der Windschlüpigkeit, wenn der Heckflügel flach gestellt wird.»

Rennleiter Charlie Whiting wirft ein: «Der grosse Vorteil für uns – wir können das DRS auf den Geraden wirkungsvoller machen. Mit dem heutigen System verlängern wir die DRS-Zonen. Mit dem neuen Flügel ist das nicht notwendig, weil es effizienter arbeitet. Generell sind wir ständig am Feinabstimmen. Wir schauen uns auf jeder Piste einzeln an, wie wirkungsvoll das DRS arbeitet. Das Ziel besteht darin, dass der Angreifer es schafft, in der Bremszone neben seinem Gegner zu sein. Das neue DRS heisst nicht, dass das Überholen zu einfach wird. Wir wollen nicht, dass dies alles künstlich wird. Es soll schwierig bleiben. Aber es wird effizienter sein. Etwa hier in Barcelona sehen wir die Chance, dass wir DRS auf der Gegengerade nutzen könnten. Das ist derzeit nicht möglich.»

Nikolas Tombazis: «Für 2021, wenn wir ein ganz neues Reglement erhalten, sollen die Autos einander besser folgen können. So gut, um genau zu sein, dass wir vielleicht auf das DRS verzichten können. Bis dahin müssen wir mit diesem notwendigen Übel leben.»

«Wir arbeiten daran, für 2021 eine neue Aerodynamik vorzuschreiben. Diese Umstellung wird extremer als die die Änderung für 2019. Weil der Wechsel für 2019 kurzfristig geschieht, mussten wir gewisse Kompromisse eingehen. Für 2021 gehen wir diesen Weg aber weiter, dafür haben wir auch mehr Zeit für Forschung und Entwicklung. Das Ziel muss darin bestehen, dass die Autos so gebaut sind, dass der Verfolger bessere Chancen für einen aussichtsreichen Angriff hat.»

Auch die FIA-Spezialisten sind gespannt, wie sich das alles auswirken wird. Nikolas Tombazis: «Das werden wir erst im Februar und März 2019 wissen, wenn die Autos auf die Bahn gehen. Jede Regeländerung birgt auch ein gewisses Risiko. Aber wir machen unsere Hausaufgaben, etwa in Form eines erheblich genauer formulierten Reglements. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit diesen neuen Regeln den Sport interessanter machen. Wir hoffen, dass wir nichts übersehen haben – dass also nicht ein Rennstall eine Lücke findet und alle anderen in Grund und Boden fährt; was in der Vergangenheit mehrfach passiert ist. Das ist einer der Gründe für das Meeting vom kommenden Sonntag.»

Wie wird die neue Aerodynamik 2019 das Kräfteverhältnis beeinflussen? Tombazis: «Das ist schwer abzuschätzen, ich persönlich würde sagen – das Feld rückt zusammen. Einige Teams werden die Chance durch die neuen Regeln nicht nutzen können, weil sie das Reglement nicht ideal nutzen. Daraus ergeben sich Unterschiede.»

«Was wir nicht unterschätzen sollten: Die kleineren Rennställe waren begeistert von unseren Vorschlägen – weil die Flügel zur Herstellung nicht mehr so viel kosten, da sie weniger komplex sind. Wenn andere Flügel entworfen werden müssen, dann kostet das zunächst mehr Geld, zugegeben, aber wir glauben, dass die Flügel an sich weniger kostenaufwändig werden, so dass unterm Strich die Kosten runterkommen.»

«Gleichzeitig sind wir davon überzeugt: Die Fans wollen verschiedene Lösungen sehen, es geht also nicht darum die Formel 1 zu vereinheitlichen, wie das in anderen Serien gemacht wird. Aber wir fanden, man könnte die Dinge etwas vereinfachen. Ohne dass ein Team wie Ferrari oder Red Bull Racing die eigene Identität verliert.»

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