Peinlich: Frankreich seit 22 Jahren ohne GP-Sieger
Wer sich unter französischen Grand-Prix-Fans umhört, erkennt schnell – seit dem grossen Alain Prost gibt es keinen Fahrer mehr, der die Grande Nation vom Sessel gerissen hätte. Unfassbar: Letzter französischer GP-Sieger – der damalige Ligier-Fahrer Olivier Panis, am 19. Mai 1996 war’s, in Formel-1-Zeitrechnung ist das eine halbe Ewigkeit her.
Dem inzwischen 51jährigen Panis ist die sieglose Serie fast ein wenig unheimlich, wie er vor einigen Jahren der «Aujourd’hui en France» anvertraute, kurz vor einer neuen Ausgabe des Monaco-GP: «Als ich vor einer Woche die Piste abstiefelte, schoss mir durch den Kopf – mein Sieg liegt mehr als 20 Jahre zurück! Verrückt, wie schnell die Zeit verfliegt. Klar hätte ich im Laufe meiner Karriere gerne mehr Grands Prix gewonnen als nur einen, aber ich bin immerhin Monaco-GP-Sieger. Das können nicht viele von sich behaupten. Wenn schon nur einen, dann der hier.»
Wie sieht Panis die sieglose Serie? Olivier lachte: «Wie jeder Franzose bin ich grundsätzlich ein ungeduldiger Mensch. Also dauert mir das natürlich viel zu lange. Auf der anderen Seite – wer hat schon eine Karriere wie Alain Prost? An Talenten mangelte es nicht.»
Eher an den Umständen: Romain Grosjean hat aus seinen Möglichkeiten zu wenig gemacht. Jean-Éric Vergne wurde von Red Bull aussortiert. Jules Bianchi stand eine grosse Zukunft bevor, dann wollte es das Schicksal anders – schwerer Unfall in Suzuka 2014, im Sommer 2015 verstorben.
Aber es gibt Hoffnung: Mit Pierre Gasly (Toro Rosso) und Esteban Ocon (Force India) haben wir zwei sehr vielversprechende Fahrer am Start.
Würde Panis es bedauern, wenn er seinen Titel «Letzter GP-Sieger aus Frankreich» denn mal los ist? «Nein», antwortet der 158fache GP-Teilnehmer. «Ich werde seit so langer Zeit damit in Verbindung gebracht, das reicht. Jetzt soll ein Anderer diesen magischen Moment auskosten dürfen.»
Aber warum dieses Talent-Vakuum in Frankreich? Die Antwort ist ganz einfach: Weil die gezielte Nachwuchsförderung vernachlässigt worden sind, ein Problem, das Frankreich mit Italien teilt.
In den 60er Jahren war die Rennfahrerschule Winfield legendär, die zunächst in Magny-Cours, dann in Le Castellet zuhause war. Wer das «Volant Winfield» gewann, also das Lenkrad von Winfield, wurde gezielt gefördert und durfte sich Hoffnungen auf eine erfolgreiche Rennkarriere machen.
Bis in die 80er Jahre schien Frankreich ein scheinbar unerschöpflicher Quell an Renntalenten zu sein: Einer der grössten Gründe, warum wir uns über das gesammelte Talent von Jean-Pierre Beltoise, Henri Pescarolo, François Cevert, Patrick Tambay, Alain Prost, Didier Pironi, Erik Comas, Olivier Panis und so fort freuen durften, war die grandiose Nachwuchsförderung von François Guiter als Motorsportchef des Mineralölkonzerns «elf».
François Guiter, in den 50er Jahren Mitglied einer Spezialeinheit des französischen Geheimdienstes, wurde 1967 Marketing-Chef von elf, mit dem Auftrag, das etwas verstaubte Image des Konzerns aufzumöbeln. Guiter entschloss sich zum Engagement im Rennsport.
Elf wurde ein fester Partner von Matra, von Tyrrell, François Guiter gründete das «Volant elf», eine Rennfahrerschule, aus der zahlreiche Grand-Prix-Piloten hervorgingen. Guiter arbeitete dabei mit der Rennfahrerschule Winfield zusammen.
Einige Piloten, die aus diesem Programm hervorgingen: Patrick Tambay, Didier Pironi und Alain Prost. Aus Tambay und Pironi wurden GP-Sieger, Alain Prost fuhr vier WM-Titel und 51 Siege ein.
Andere Zöglinge, welche die Winfield-Schule durchliefen: François Cevert, Jacques Laffite, Eric Bernard, Erik Comas, Olivier Panis, Damon Hill, Ukyo Katayama, Yvan Muller, Marcel Fässler, Bertrand Gachot, Jean Alesi und Christian Danner.
Mit Matra gewann elf bei den 24 Stunden von Le Mans, mit Jackie Stewart und Tyrrell in der Formel 1. Elf ging später eine langjährige, ebenfalls sehr erfolgreiche Partnerschaft mit Renault ein, die zu Siegen in Le Mans und in der Formel 1 führte.
Elf fusionierte 2000 mit TotalFina zu dem neuen Unternehmen TotalFinaElf, das seit 2003 Total heisst. Der Name hat mit der Zahl elf übrigens nichts zu tun und steht vielmehr für «Essence et Lubrifiants de France». Das Logo stellt einen stilisierten Bohrmeissel mit einer blauen und einer roten Seite dar, der in der Mitte weiss bleibt, Symbol der französischen Flagge.
46 Jahre nach dem ersten Förderprogramm um Sieger Patrick Tambay gibt es 2018 wieder ein «Volant Winfield». Gefahren wurde von 12.–14. Februar 2018 in Le Castellet, der Gewinner erhält vom nationalen Rennsportverband FFSA eine Saison in der französischen Formel 4 geschenkt.
Es ist bezeichnend für die Fahrer-Durststrecke in Frankreich, dass das Volant von keinem Franzosen gewonnen wurde – sondern vom 15jährigen Brasilianer Caio Collet.
Und hinter Esteban Ocon (Force India), Pierre Gasly (Toro Rosso) und Romain Grosjean (Haas) sieht es düster aus: Kein Franzose in der Formel 2, nur ein Franzose in der Formel-3-EM (Sacha Fenestraz). Dafür wimmelt es in der GP3-Serie vor Franzosen: Anthoine Hubert, Giuliano Alesi (Sohn des GP-Siegers Jean Alesi), Gabriel Aubry, Julien Falchero und Dorian Boccolacci sind dort zu finden. Hubert führt die Meisterschaft an, Alesi ist derzeit Dritter. Immerhin.