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Jacques Villeneuve: Vom Ferrari-Fahren und Nacktbaden

Von Mathias Brunner
​Ein Gänsehautmoment: Jacques Villeneuve erhielt vor einem Jahr in Montreal die Gelegenheit, mit dem 1978er Ferrari seines Vaters Gilles Villeneuve zu fahren. Viele Fans hatten einen dicken Kloss im Hals.

Das war eine wundervolle Geste der Organisatoren des Grossen Preises von Kanada: Jacques Villeneuve furh 2018 vor dem nordamerikanischen WM-Lauf jenen Ferrari 312T3, mit dem sein Vater Gilles 40 Jahre zuvor zum Montreal-Sieg gerast war. Als Gilles Villeneuves damals die Ziellinie des Kanada-GP kreuzte, flippten die Zuschauer aus: Der kleine Ferrari-Pilot war über sich hinausgewachsen – ganz untypisch für ihn hatte er Geduld bewiesen. Eigentlich hätte Jean-Pierre Jarier im Lotus gewinnen müssen, doch der französische Ersatzfahrer des verstorbenen Ronnie Peterson wurde von der Technik seines Renners im Stich gelassen. Gilles Villeneuve ging in Führung und behielt die Nerven. Es passte zu diesem verrückten Grand Prix, dass bei seiner Zieldurchfahrt Flocken fielen! Mit Temperaturen knapp über der Nullgrenze gilt dieses Rennen als der kälteste WM-Lauf der Historie.

Vor knapp einem Jahr durfte Gilles’ Sohn Jacques im Ferrari Platz nehmen. Seine Demorunde vor dem Grossen Preis von Kanada wurde vom Publikum gefeiert, die Streckenposten standen Spalier, viele hatten einen dicken Kloss im Hals – einschliesslich Jacques!

Jacques nach der Demofahrt im Wagen, der heute dem Unternehmer Marc Muzzo aus Toronto gehört: «Ich habe jede Sekunde geniessen dürfen. Ich glaube, auch die Fans hatten Freude daran. Ich konnte sie nicht hören, weil der Ferrari-Zwölfzylindermotor so unfassbar laut ist. Ich bin zwar nur langsam gefahren, aber was für ein Sound! Doch ich konnte die Fans sehen, und das war schon sehr emotional.»

«Eigentlich sollte ich ganz langsam fahren, aber so wurde der Motor nicht richtig gekühlt, und die Wassertemperatur stieg bedrohlich. Also fuhr ich ein wenig flotter. Ich kam immerhin bis in den vierten Gang.»

Leider blieb es bei dieser einen Runde. Gerne hätten die Fans gesehen, wie der elffache GP-Sieger eine fliegende Runde hinlegt, aber das war im Programm bedauerlicherweise nicht vorgesehen.

Jacques weiter: «Ich bin Linksbremsen gewohnt. Aber im T3 geht das nicht, weil die Lenksäule zwischen den beiden Füssen verläuft. Es war eine tolle Erfahrung und ein schöner Knicks vor dem Erbe meines Vaters. Ich habe im Laufe der Jahre schätzen gelernt, was er den Menschen bedeutet. Es erfüllt mich mit Stolz, wie warmherzig sich die Fans an ihn erinnern. 40 Jahre nach seinem Sieg sein Auto hier zu fahren, das bedeutete mir sehr viel.»

Es war das zweite Mal, dass Jacques in diesem Auto von Gilles sass: 2004 bewegte er den T3 bereits beim Goodwood Festival of Speed. Der 1978er Ferrari wurde 2018 im Casino von Montreal ausgestellt, dem früheren französischen Pavillon der Weltausstellung von Montreal 1967.

Jacques am Donnerstagmittag in Montreal: «Mit den Jahren haben die Leistungen meines Vaters für mich tiefere Bedeutung erhalten. Denn ich konnte immer wieder sehen, wie sehr er die Menschen durch seine Fahrweise und seinen Charakter berührt hat.»

Auf die Frage, wie sich der Ferrari anfühle, lacht der elffache GP-Sieger: «Als würdest du in einer Sardinenbüchse sitzen! Es ist ein wenig beunruhigend – wenn die Karosserie abgenommen wird, dann sitzt du so gut wie im Freien. Du hast als Schutz nur etwas Plastik. Und doch bin ich vom damaligen Stand der Technik beeindruckt.»

Auch am kommenden GP-Wochenende in Montreal wird es leicht sein, Jacques Villeneuve zu finden. Einfach nach einer stattlichen Menschentraube Ausschau halten. Der heute 48jährige Formel-1-Champion des Jahres 1997 ist als TV-Experte so kontrovers geblieben wie zu seiner Rennkarriere, die ihm aus 162 Grands Prix elf Siege eingebracht hat.

Der Indy-500-Sieger und IndyCar-Meister von 1995 freut sich aufs Montreal-GP-Wochenende. Er weiss aber auch, wie anstrengend ein Wochenende für den Lokalhelden ist. Rund um den Brillenträger entstand jeweils ein Medienzirkus mit Dutzenden einheimischer Berichterstatter, die sich um exklusive Wortspenden balgten. Jacques war klug genug zu wissen, wie er am besten auf dem Medienklavier klimpert.

Villeneuve blieb jedoch auch dann weitgehend geduldig, wenn die Boulevardmedien nach saftigen Geschichten aus seinem Privatleben Ausschau hielten oder die TV-Kollegen live provokante Fragen stellten, um ihn aus der Reserve zu locken.

Villeneuve war nie um eine knallige Antwort verlegen – auf die Gefahr hin, einigen Leuten tüchtig auf den Schlips zu treten. Was heute in Montreal passiert, hat mit dem Villeneuve-Fieber von damals wenig zu tun. Dazu ist Lance Stroll als 20-Jähriger zu wenig kantig.

«Die Montreal-Woche war jedes Mal anstregend, der Druck der Medien liess nie nach», sagte Jacques meinem Kollegen Louis Butcher vom Journal de Montréal. «Das Leben des Formel-1-Piloten war damals ein anderes. Wir waren zwischen den Rennen ständig in private Testfahrten eingebunden, die gibt es heute nicht mehr. Die heutigen Fahrer haben mehr Freizeit. Das Ganze hat mich physisch ausgelaugt, der Rummel begann eine Woche vor dem Montreal-GP und liess bis nach dem Rennen kaum nach.»

«Wir haben dann immer am Dienstag vor dem Grand Prix eine grosse Pressekonferenz organisiert, das hat ein wenig Druck vom Kessel genommen. Ich fand, ich kann mich danach besser auf meine Aufgabe konzentrieren. Aber das wahre Ausmass dieses Wirbels habe ich erst später ganz verstanden.»

Jacques Villeneuve hat immer darauf geachtet, dass seine Berühmtheit nicht dazu führt, einen Groll zu hegen oder die Fans zu meiden. «Die GP-Anhänger waren für mich nie ein Problem. Klar stand ich im Mittelpunkt, aber ich fand, dass die Menschen mit mir immer respektvoll umgegangen sind. Wenn du anfängst, dich nur noch mit zwei Leibwächtern zu bewegen, dann musst du dich nicht wundern, wenn du dich den Fans entfremdest. Klar kamen unablässig Leute für ein Foto oder eine Unterschrift. Aber ich finde: Du hast einfach nicht das Recht, nein zu sagen. Du willst vielleicht eben im Restaurant eine Gabel zum Mund führen, da stehen Fans vor dir. Du musst das mit einem Lächeln parieren. Denn es ist deine Pflicht als Sportler oder als Künstler, den Menschen etwas zurückzugeben. Du musst dir klar sein, dass dir die Leute folgen oder dich aushorchen. Das ist der Preis des Ruhms. Wenn du dich dann beim Nacktbaden am Strand erwischen lässt, dann bist du eben selber schuld.»

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