MotoGP: Neuer Yamaha-Motor zu stark

Was die Formel 1 von der MotoGP lernen kann

Von Günther Wiesinger
Die gegenwärtige Formel 1: Mercedes liegt vorne, Ferrari ist neben der Erfolgsspur

Die gegenwärtige Formel 1: Mercedes liegt vorne, Ferrari ist neben der Erfolgsspur

​In der Formel 1 besteht Handlungsbedarf. Das Interesse geht zurück, Mercedes-Benz siegt sich zu Tode, es wurden Fehler gemacht. Was kann die Formel 1 von der MotoGP lernen?

Die spanische Agentur Dorna Sports S.L. besitzt seit 1992 die kommerziellen Rechte an der MotoGP-Weltmeisterschaft. CEO Carmelo Ezpeleta (73) hatte mit Bernie Ecclestone einen tüchtigen Lehrmeister, der den Motorsport als Mechaniker, Teambesitzer (Brabham), Chef der Teamvereinigung FOCA und dann als Alleinherrscher kannte und mit aller Schlitzohrigkeit dirigierte.
Ecclestone hatte 1982 als FOCA-Chef den Weltverband FISA entmachtet, als er vor dem Rennen in Imola die FOCA-Teams heimfahren liess, es traten Ferrari, Renault, Osella, Alfa Romeo, Toleman, Tyrrell und ATS an. Ein Trauerspiel.

Die Motorrad-GP-Teams holten Bernie Ende 1991 an ihre Seite, als dort der Machtkampf zwischen Fahrern, Teams gegen die FIM und deren Veranstalter eskalierte. BE drohte die Gründung eines eigenen Verbands an, in letzter Minute gab die FIM klein bei. Sie verkaufte die GP-Rechte für ca. 6 Mio US-Dollar pro Jahr an die Dorna – und durfte fortan nur noch die Siegerehrungen vornehmen.
Rennkalender, technische und sportliche Vorschriften, das alles machten jetzt die Dorna, Teams und Werke unter sich aus.

Ecclestone mischte 1992 im Motorrad-GP-Sport mit. Er gründete die TWP (Two Wheel Promotions), zahlte ca. 1,2 Mio US-Dollar pro Grand Prix an die Teams, machte die Verträge mit den GP-Veranstaltern und garantierte ihnen dafür mindestens 24 Fahrer pro Klasse. (Die Klasse 80 ccm starb nach 1989, die 350-ccm-Klasse nach 1982, die Seitenwagen gehörten ab 1992 auch nicht mehr zum Standard-Repertoire der Grand Prix.)

Diese kurze Einleitung scheint nötig, wenn man heute die Frage stellt, ob die MotoGP der Formel 1 längst den Rang abgelaufen hat.

Naja, bei der Spannung auf jeden Fall. Beim Thema «value for money» sowieso.

Und dazu bei der Gestaltung der Eintrittspreise, der Zuschauernähe, bei der Sinnhaftigkeit der technischen und sportlichen Vorschriften und so weiter.

Bei der Popularität, den TV-Quoten und so weiter liegt die Formel 1 hingegen klar voran.

Der Grund ist klar: Die Umsätze der Autogiganten Mercedes, Fiat/Ferrari, Renault und Honda ist teilwiese um den Faktor 100 höher als jener der Motorradhersteller. KTM zum Beispiel setzt 1,5 Milliarden im Jahr um, die VW Gruppe 263 Milliarden.

Mercedes hat mehr Lkw-Chauffeure in der Formel 1 als der Yamaha-MotoGP-Rennstall (mit Rossi und Viñales) Mitglieder hat.

Als Carmelo Ezpeleta vor zwei Wochen den Catalyuna-GP besuchte, um sich mit Liberty Media-Chef Chase Carey zu treffen und seinen Schützling Carlos Sainz junior zu besuchen, wurde der Spanier nicht nur von Dr. Helmut Marko (Red Bull Racing) und Franz Tost (Scuderia Toro Rosso) aufgefordert, eine Management-Aufgabe im Formel-1-Geschäft zu übernehmen.

Ezpeleta winkte dankend ab.

Erstens ist er mit der MotoGP und Superbike-WM ausreichend ausgelastet. Zweitens ist die Situation in der Formel 1 viel zu verfahren.

Ecclestone hat sich nie um eine sinnvolle Nachfolge-Regelung gekümmert. Er herrschte wie ein Diktator weiter, als ihm nach der teuren Scheidung von seiner Gattin Slavica längst die Mehrheit der Formel-1-SLEC-Anteile entrissen worden war.

Und Ecclestone hinterließ einen Scherbenhaufen. Das Concorde Agreement verhindert sinnvolle technische Änderungen, das umstrittene Motoren-Reglement ist zementiert, weil es nur bei Einstimmigkeit verändert werden kann – und Mercedes als Seriensieger null Interesse an Kompromissen hat.

In der MotoGP bekommen jene Hersteller, die zwei Jahre lang keine Podestplätze errungen haben, technische Zugeständnisse. Sie dürfen mehr testen, auch während der Saison entwickeln, sie dürfen neun statt sieben Motoren verheizen und so weiter. So wurde Suzuki nach dem Rückzug ins Feld zurückgeholt, Aprilia und KTM stiegen neu ein, Ducati schloss nach sechs mageren Jahren wieder zu den Siegerteams auf.

Fazit: In der MotoGP treten sechs Werke an, in der Formel 1 vier.

Aber Giganten wie Ford, General Motors, VW (mit Porsche, Audi oder Lamborghini) fehlen, dazu Toyota, Nissan, Peugeot/Citroen und so weiter.

Der ehemalige Ferrari-Teamprinzipal Maurizio Arrivabene sang schon vor drei Jahren nach seinem Besuch beim Mugello-GP ein Loblieb auf die für ihn vorbildlich organisierte MotoGP-WM. Auch andere F1-Sympathisanten wie Berger, Briatore, Alonso, Webber und Hamilton tun das regelmäßig.
Verwunderlich ist das nicht.

In Monte Carlo erlebten wir am Sonntag eine Verfolgungsjagd von Max Verstappen gegen Leader Hamilton.

Aber jeder halbwegs aufgeweckte Formel-1-Beobachter wusste: Seit 1985 hat der Angreifer den Monaco-Spitzenreiter nicht überholen können. Damals gelang es Michele Alboreto beim Fight gegen Prost.

Klar, Monte Carlo ist ein besonderes Kapitel. Aber in der Formel 1 wird der Motorsport, wie wir ihn kennen und schätzen, ad absurdum geführt.

Früher stand der beste Fahrer mit dem schnellsten Auto auf der Pole-Position.
Heute kann‘s passieren, dass das halbe Startfeld zurückgereiht wird, weil der Motor, das KERS-Aggregat oder das Getriebe getauscht werden musste.

In der Formel 1 sehen wir Budgets von mehr als 500 Millionen Euro und bis zu 1000 Teammitglieder.

Warum darf man trotzdem nur drei Motoren im Jahr verwenden? Zur Kostensenkung? Macht ein Motor überhaupt ca. 0,00237 Prozent des Jahresbudgets aus?

Zur Erinnerung: Eine moderne Antriebs-Einheit der Formel 1 ist reglementarisch in sechs Elemente aufgeteilt:
– V6-Verbrennungsmotor
– Turbolader
– MGU-H («motor generator unit – heat»; also der Generator für jene Energie, die beim Turbolader gesammelt wird)
– MGU-K («motor generator unit – kinetic»; also der Generator für die kinetische Energie, die beim Bremsen gesammelt wird)
– Batterie-Paket
– Kontroll-Elektronik. 

Erlaubt sind seit Anfang 2018: Drei Verbrennungsmotoren, drei MGU-H, drei Turbolader, aber nur zwei MGU-K, zwei Batterien und zwei Kontroll-Einheiten. Will ich als Fan das alles wissen?

Warum soll ich mit das Qualifying im Fernsehen anschauen, wenn am Grid eh alles anders aussieht? Warum wird der Fahrer bestraft, wenn sein Werk nicht fähig ist, standfestes Material zu liefern?

Früher wurde gekämpft gerempelt, mutig überholt. Heute wird jede couragierte Aktion bestraft, und wenn der Mann mit dem Lollipop ein «unsafe release» riskiert, wird auch der Fahrer bestraft – und der Zuschauer hinters Licht geführt, weil Verstappen als Zweiter durchs Ziel fährt und am Ende als Vierter gewertet wird.

Die oft armen und ums Überleben kämpfenden Teamgründer und Eigentümer wie Bruce McLaren, Mo Nunn (Ensign), Paul Stoddard, Jackie Stewart, Ken Tyrrell, Erich Zakowski, Günter Schmid und Peter Sauber sind längst aus dem F1-Geschäft verschwunden.

Die Formel 1 ist Teil der Unterhaltungs-Industrie geworden, es sind die Event-Manager am Werk, Alfa Romeo ersetzt Sauber, auch wenn das nur ein Marketing-Gag ist. Benetton übernahm Mitte der 1980er-Jahre Toleman, Red Bull übernahm 2005 Jaguar Racing und später Minardi, und diese globalen Konzerne sind weniger sprunghaft als Werke wie Toyota und BMW und Renault, die kamen und gingen, wie es ihnen gefiel.

Klar, es waren auch Scharlatane und Traumtänzer dabei wie Super Aguri, HRT, Manor, Virgin, Force India, Spyker, Midland, Caterham und Lotus unter der malaysischen Herrschaft, aber im Grunde herrscht bei den Formel-1-Teams Stabilität.

Das liegt auch daran, dass Liberty Media nicht weniger als 950 Millionen im Jahr an die Teams verteilt. Der Verteilschlüssel unterliegt der Geheimhaltung, aber Ferrari erhält den Löwenanteil, vermuten die Kontrahenten.

Was Mercedes in der Formel 1 erreicht hat, verdient höchstes Lob und Anerkennung.

Aber das System ist krank.

Zu viele Grand Prix finden auf langweiligen Retorten-Pisten in entlegenen Gegenden statt. Die Eintrittspreise sind zu hoch.

Die beiden Red Bull-Teams wären vor vier Jahren beinahe ausgestiegen. Firmenchef Dietrich Mateschitz beklagte damals als Renault-Kunde (die 1,6-Liter-Turbomotoren Motoren kosteten 27 Mio Euro pro Team im Jahr!) gegenüber Mercedes Leistungsmanko von ca, 80 PS.

«So nehmen uns die Franzosen neben der Zeit und dem Geld auch die Lust und die Motivation. Denn kein Fahrer und kein Chassis dieser Welt kann dieses PS-Handicap kompensieren», stellte der Österreicher im Juni 2015 fest.

Damals musste die Formel 1 ernsthaft um die Motorenhersteller Renault und Honda bangen, es wären nur Mercedes und Ferrari verblieben.

Der 76jährige Helmut Marko trauert der Zeit nach, als Ecclestone in seiner hemdsärmeligen Art rasche Entscheidungen traf und einmal dieses und einmal jenes Team mit 6 oder 8 Millionen aus der Patsche half und grossteils weitblickende Entscheidungen traf.

«Demokratie ist recht und schön. Aber irgendwann muss jemand eine Entscheidung treffen», sagt Marko.

In der MotoGP lebt Carmelo Ezepleta dieses System vor. Zuerst wird demokratisch nach Kompromissen gesucht, wenn sich keiner findet, entscheidet der Dorna-CEO – meist handstreichartig.

Und keiner widerspricht, denn die Dorna bezahlt dank ihrer Einnahmen (TV-Rechte, GP-Austragungsgebühren, Bandenwerbung, GP-Namensrechte) die Teams, die Hersteller, die Funktionäre und den Weltverband. Und sie hält die Fahrer mit offenen Ohren bei Sicherheitsfragen bei Laune.

In der Formel 1 hat Chase Carey einige Berater um sich geschart.

Aber an das umfassende Motorsport-Knowhow, die Gerissenheit und die Cleverness von Ecclestone kommt keiner von ihnen heran.

Ezpeleta hatte 25 Jahre Zeit, um die Vorzüge von Bernie zu studieren, dessen Fehler zu identifizieren und ein zukunftsträchtiges MotoGP-System zu installieren.

Die Formel 1 schwächelt. Sie muss mit frischen Ideen belebt werden.

Aber sie ist noch längst keine Versuchsstation für den Weltuntergang.

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