Kanada: Leclerc 1., Hamilton und Verstappen in Mauer
Formel-1-Autos sind überaus effiziente Staubsauger: Der GP-Kurs im Park Jean Drapeau von Montreal war im zweiten freien Training etwas weniger schmutzig als im ersten. Dafür hatte der Wind zugenommen. Ergebnis: Mehr Anpressdruck in der Bremszone zur ersten Kurve hin, dafür instabiles Heck beim Anbremsen der Haarnadel.
Valtteri Bottas atmete auf: Zum Schluss der ersten 90 Trainingsminuten war ein Problem mit der Benzinversorgung entdeckt worden. Die flinken Mercedes-Mechaniker lösten das Problem in der Pause vor dem Nachmittagstraining, damit konnte der neue Motor weiter eingesetzt werden.
Schon das ganze Jahr über fällt auf: Die Wagen von Alfa Romeo-Sauber sind im ersten Training jeweils sehr flott unterwegs, später relativiert sich das. Kimi Räikkönen war im ersten Training so schnell wie Sebastian Vettel. Ex-GP-Fahrer Karun Chandhok: «Ich habe den Verdacht, dass Ferrari-Kunde Sauber im ersten Training mit einer schärferen Motoreinstellung fährt, um Daten für das Werksteam zu sammeln. Wenn dann die Anderen auch Leistung hochfahren, fällt Alfa Romeo-Sauber zurück.»
GP-Sieger Johnny Herbert: «Es war ein wenig deprimierend, im ersten Training zu sehen, wie die Mercedes weiter zu dominieren scheinen. Für mich steht fest – wir haben noch nicht alles gesehen von Ferrari. Aber der Motor ist nur der das Eine hier in Montreal. Für mich ist auf dieser Strecke mindestens so wichtig, wie ein Auto auf den Randsteinen liegt. Denn um hier richtig schnell zu sein, musst du gnadenlos über die Kerbs rumpeln. Und wenn ich mir alle Autos ansehe, dann liegt kein Auto so gut auf den Randsteinen wie der Mercedes.»
Formel-1-Weltmeister Jenson Button ergänzt: «Darüber hinaus willst du als Fahrer ein Auto, das auf der Bremse stabil liegt. Wir haben hier vier knallharte Bremsmanöver. Und der Wagen muss willig auf Richtungswechsel reagieren, also knackig einlenken. Einer der Gründe, wieso wir hier immer wieder Autos in der Mauer erleben – viele Kurven hängen nach aussen, das kommt normalerweise im Fernsehen gar nicht so richtig rüber.»
Aufregung nach einer halben Stunde: WM-Leader Lewis Hamilton mit plattem rechten Hinterreifen unterwegs Richtung Box. Die Ingenieure ermahnten den Briten: «Bitte fahr langsam!» Sie hatten Angst, dass der sich auflösende Reifen die Aufhängung zerschlägt.
Was passiert war. An der gleichen Stelle wie Antonio Giovinazzi am Morgen, in Kurve 9, war Hamilton die Strasse ausgegangen, nach einem irren Quersteher. Der Schlag rechts hinten an die Mauer war hart.
Johnny Herbert: «Lewis war auf den Randstein links ein wenig zu gierig, das hat den Wagen aus der Balance geworfen, so entstand der Riesenrutscher, aber den Aufschlag konnte er nicht verhindern. Moderne Rennwagen verkraften eine Menge Energie, aber für solche seitlichen Belastungen sind die Aufhängungen nicht gebaut und die Antriebswellen auch nicht. In Monaco kommst du mit einer solchen Übung vielleicht davon, weil die Leitschienen ein wenig nachgeben. Die Mauern in Montreal geben nicht nach.»
Hamilton hatte kurz zuvor die Bestzeit aufgestellt. Der 77fache GP-Sieger stieg aus und sah sich den Schaden an, die Mercedes-Truppe erkannte Beschädigungen am Unterboden. Am Funk hatte Lewis kleinlaut geknurrt: «Sorry, Leute.»
Nach vierzig Minuten konnten die Tifosi tief durchatmen: neue Bestzeit von Sebastian Vettel, mit 1:12,251 min, Valtteri Bottas hatte sich auf 1:12,311 verbessert, Leclerc lag bei 1:12,373 min.
Jenson Button beobachtete das Geschehen in Kurve 1: «Der Mercedes von Bottas hat eine viel bessere Traktion aus der Kurve heraus als die Ferrari von Vettel und Leclerc. Die Ferrari machen ihre Zeit nicht mit Strassenlage, sondern mit dem Speed auf den Geraden.»
Das bedeutete auch: relativ flache Flügeleinstellung, damit haariges Fahrverhalten in den Kurven. Charles Leclerc kam der Mauer am Eingang zur Start/Ziel-Geraden gefährlich nahe, genau, wir sprechen hier von jener «Wall of Champions», die schon von einigen Piloten geküsst worden ist, aber der Einsatz lohnte sich – neue Bestzeit für den Monegassen, mit 1:12,177 min, zwei Ferrari vorne.
Inzwischen begann in der Mercedes-Box eine grössere Zerlegung des Hecks von Hamiltons Wagen. Mercedes bestätigte: Sicherheitshalber wird das ganze Heck gewechselt! Das mit war das Training für den fünffachen Champion vorbei.
Was Leclerc verhindert hatte, passierte Verstappen: Seitlicher Mauerkuss an der Wall of Champions, der Niederländer lag zu dicht ausgerechnet hinter dem Wagen seines Stallgefährten Pierre Gasly, dadurch fehlte Anpressdruck an der Vorderachse, der Renner schrammte zunächst mit dem Vorderrad der Mauer entlang, dann mit dem breiten Hinterrad, entsprechend Zweithand sahen die Felgen aus, als Max den Wagen endlich zur Box zurückgebracht hatte. Die Red Bull Racing-Mechaniker taten nun das Gleiche wie zuvor die Kollegen von Mercedes: ausgiebige Inspektion.
Letzte Aufreger vor Schluss des Trainings: Lance Stroll drückte in der letzten Kurve vor Start und Ziel den Haas-Renner von Romain Grosjean zur Seite, der Genfer wollte an die Box fahren. «Der ist verrückt», schimpfte Romain am Funk. Die FIA-Kommissare wollen sich das später noch genauer ansehen.