Marc Surer wird 70: Was ihn verblüfft, was ihn freut
Marc Surer im Formel-1-Renner von Max Verstappen
Marc, ich habe dich vor zehn Jahren in Monza gefragt, ob du dir vorstellen kannst, auch noch mit 70 im Fahrerlager zu stehen. Du hast damals geantwortet: «Ja, denn ich finde die Formel 1 faszinierend und liebe meinen Job. Den GP-Sport zu verlassen, das kann ich mir nur vorstellen, wenn sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern.»
Seither hat sich sehr viel getan, die Arbeitsbedingungen haben sich für viele Menschen radikal geändert. Auch für mich bedeutete die Corona-Pandemie sehr lange – zu Hause bleiben. Was mir bei der Rückkehr ins Fahrerlager am stärksten aufgefallen sind: Die Leute sind wieder freundlicher geworden. Man muss sich vorstellen: Ich hatte mir die Testfahrten in Barcelona Anfang 2020 angeschaut, dann ging wegen Corona nichts mehr. Im Gegensatz zur Situation vor zwei Jahren bleiben die Menschen stehen, es wird geredet, es herrscht eine ganz andere Grundstimmung. Das liegt auch daran, dass weniger Menschen im Fahrerlager anzutreffen sind.
Du bist für mich einer jener Menschen, deren Alter ich nicht nach einer Zahl definiere, sondern nach einer Lebenseinstellung.
Ja, das würde ich auch sagen. Aber ich hätte nie geglaubt, dass ich mit 70 noch so aktiv sein würde. Wenn du jünger bist, hast du den Eindruck – nach 60 ist das Leben vorbei. Nun gehe ich an meinem 70. Geburtstag Kart fahren.
Das hast du schon am 60. Geburtstag gemacht!
(Lacht.) Siehst du, es hat sich nichts geändert. Ich reite jeden zweiten Tag, ich mache meine Fahrradtouren. Ich bin so aktiv wie eh und je, mit dem einzigen Unterschied, dass ab und an mal etwas zwickt. Allerdings muss ich auch zugeben – also die Zahl 70 an sich schockiert mich schon ein wenig, selbst wenn ich mich jung fühle.
Was unterscheidet den Marc Surer mit 70 vom Marc Surer mit 60?
Ich kann besser loslassen. Ein Beispiel: Wenn ich auf die Kartbahn gehe, und ein Profi fährt auch, dann weiss ich, dass der mir jetzt eine Sekunde abnehmen wird, auch wenn mir nicht ganz klar ist, wo und warum. Aber ich kann damit leben. Früher hätte mich so etwas geärgert, heute kann ich am Fahren trotzdem Spass haben. Ich bin weniger verbissen. In Sachen Job mache ich beim Schweizer Fernsehen zwölf Rennen pro Jahr, das ist ein anderes Programm als früher mit Sky und dem vollen GP-Programm. Das waren sehr viele Stunden. Heute beschränken wir uns auf Quali und Rennen, und ich freue mich auf jedes Mal auf die Arbeit.
Wegen Corona und Reise-Einschränkungen hast auch du seit etwas mehr als einem Jahr viele WM-Läufe vor dem Bildschirm erlebt, nicht vor Ort. Wie fühlte sich das für dich an?
Der Tiefpunkt war Le Castellet 2020. Da hatte es gleich nach dem Start gekracht, und dann wurde es das Rennen zu einer Mercedes-Demonstration. Da bin ich tatsächlich weggenickt. (Beginnt zu lachen.) Das war mein Tiefpunkt als Zuschauer. Ansonsten sass ich zuhause und hatte bei der Arbeit immer das nagende Gefühl, etwas zu verpassen. Vor Ort kannst du einem Gerücht sofort nachgehen. Zuhause geht das nicht, weil du keinen Zugang im Fahrerlager hast.
Vor zehn Jahren hast du gesagt: «Ausser Webber, Hamilton und Alonso traut sich doch keiner zu sagen, was Sache ist.» Zwei von drei sind noch immer da, und mit Max Verstappen haben wir einen, der sich den Mund nicht verbieten lässt. Wird den Piloten heute eine längere Leine gelassen oder hat die politische Korrektheit gewonnen?
Die Fahrer werden kecker. Und die Vorbilder ziehen die Anderen mit. Wir haben Lewis Hamilton, der seine enorme Popularität nutzt, um sich für Dinge einzusetzen wie Gleichstellung oder den Kampf gegen Rassismus, also Punkte über die Formel 1 hinaus, die weltweites Echo finden. Auch von Vettel sind viel kritischere Töne zu hören als früher. Und Max Verstappen redet sowieso immer, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das alles finde ich gut. Wir brauchen in der Formel 1 Typen, und die sollen ihre Meinung sagen dürfen.
Steht Marc Surer auch mit 75 noch im Fahrerlager?
(Lacht.) So lange die Formel 1 nicht voll elektrisch wird, werde ich die Freude an der Königsklasse nicht verlieren.