Startprozedere: Wie patzen Stars wie Lewis Hamilton?
Start zum Grossen Preis von Bahrain
In loser Reihenfolge gehen wir in Form von «SPEEDWEEKipedia» auf Fragen unserer Leser ein. Dieses Mal will Leo Gerber aus Bern wissen: «Zur Saison 2016 hin ist doch ein anderes Startprozedere eingeführt worden, bei dem der Fahrer mehr Verantwortung trägt. Kann vielleicht mal ein Rennstall aus der Team-Perspektive ein wenig genauer erklärten, was sich da alles abspielt und wieso selbst Stars wie Lewis Hamilton dabei patzen?»
Weltmeister Mercedes erläutert zum Startprozedere Folgendes: «Seit der Einführung von stehenden Starts in der Formel 1 fielen diese sehr unterschiedlich aus. Die grosse Herausforderung für die Teams ist nicht nur, die besten Starts im Feld zu haben, sondern Schwankungen so gut wie möglich abzustellen.»
«Bei Mercedes messen wir einen Start bezogen auf die zurückgelegte Distanz innerhalb der ersten vier Sekunden. Die meisten Teams verwenden eine ähnliche Messung. Unter diesem Gesichtspunkt hatten die Silberpfeile in der Saison 2015 im Durchschnitt die besten Starts im Feld. Das Problem dabei ist, dass aufgrund der Schwankungen trotz starker Durchschnittswerte einige schlechte Starts dabei waren, die zu Positionsverlusten führten. Bei den bisherigen beiden Rennen 2016 hatte Nico den sechstbesten Start im Feld in Melbourne – und den besten in Bahrain. Im Gegenzug dazu zählten vier der fünf Fahrer, die in Melbourne einen besseren Start hinlegten, in Bahrain zu den schlechtesten Startern. Die Ausnahme ist Sebsatian Vettel, der gar nicht erst am Start stand. Innerhalb von zwei Rennen könnte man also kein besseres Beispiel für diese Schwankungen finden. Der beste Starter war in Melbourne übrigens Pascal Wehrlein – ein Rookie bei seinem Grand Prix-Debüt, der für das zweitneueste Team in der Startaufstellung antritt!»
«Eine der wichtigsten Herausforderungen für die Fahrer tritt in der Mittelphase des Losfahrens auf, wenn sie das Drehmoment kontrollieren, bevor sie die leistungslimitierte Phase erreichen. Das Team kann ihnen mit der Kupplung helfen, welche die erste Phase des Losfahrens steuert. Aber sobald sie die Kupplung loslassen, sind die Fahrer auf sich allein gestellt. In dieser Mittelphase versucht der Fahrer, die Balance für den perfekten Reifenschlupf zu finden. Ein bisschen zu viel in die eine Richtung – und die Räder drehen durch. Ein bisschen zu viel in die andere Richtung und das Auto gerät ins Stottern. Bei all dem Lärm und dem Betrieb der anderen Autos um sie herum, ist es sehr knifflig, das richtig hinzubekommen.»
«Die Einschränkungen im Reglement haben dafür gesorgt, dass die Rennstarts mehr vom Fahrer gesteuert werden. Zur Erklärung: Das Team darf dem Fahrer via Funk keine Anweisungen geben. Der Fahrer muss die Kupplung mit nur einer Wippe manuell kontrollieren. Die Performance hängt mehr denn je von den Fähigkeiten des Fahrers ab – allerdings nicht gänzlich. Es liegt immer noch am Team, dem Fahrer leistungsstarkes und konstantes Equipment zur Verfügung zu stellen. Damit erhält die Aufgabe für alle Beteiligten eine zusätzliche Ebene, weswegen es nicht überraschen sollte, wenn wir in dieser Saison noch mehr Unterschiede innerhalb des Feldes erleben werden.»
«Die Regeln sollen für unvorhersehbarere Rennen sorgen. Wenn es mehr Schwankungen bei den Rennstarts gibt, finden sich mehr Fahrer abseits ihrer Startpositionen wieder. Das sorgt für interessantere Rennen. Das ist in Melbourne und Bahrain passiert. Somit lässt sich durchaus zusammenfassen, dass die Regeln ein Erfolg sind. Wenn vermischte Startaufstellungen das Ziel sind, dann ist dieser Weg viel fairer. Denn das Ergebnis wird weiterhin auf Basis der Leistungen von Fahrer und Team erreicht. Eine umfassendere Aussage lässt sich nach einer halben Saison unter einem konstanten Reglement treffen.»
«Egal, wie die Regeln aussehen mögen, die Unterschiede gehören zur Natur von Rennstarts. Trotz jahrzehntelanger Entwicklung, Forschung und Übung hat noch niemand diesen Bereich perfektioniert. Die Formel 1 hat in den vergangenen Jahren als Sport viele sehr schwierige und beeindruckende Lösungen gefunden. Wenn also die gesamte technische Kompetenz des Fahrerlagers dieses Rätsel noch nicht geknackt hat, dann muss es ziemlich schwierig sein.»
«Die Teams werden niemals aufgeben, wenn sie sich einer technischen Herausforderung gegenüber sehen. Jeder ist stets auf der Suche nach Verbesserungen. Die Lehren aus den ersten beiden Saisonrennen unter dem neuen Reglement haben diesen Prozess bereits in Gang gesetzt. Es scheint sich jedoch keine Wunderlösung am Horizont abzuzeichnen, welche die Variabilität einfach auslöscht. Die wahre Frage ist eher jene, ob sie unbedingt etwas Schlechtes darstellt. Angesichts der guten Unterhaltung auf den Startrunden in Melbourne und Bahrain könnte man meinen, dass sie für ein besseres Spektakel gesorgt hat.»