Katar-GP 2017: Zwischen überraschend und vorhersehbar
Die MotoGP-Fans zählten die Tage und konnten den Saisonstart 2017 kaum erwarten. Aus vielen guten Gründen: Wie würde sich der deutsche MotoGP-Rookie Jonas Folger schlagen? Setzt Maverick Viñales seine Dominanz bei den Testfahrten auch im Rennen fort? Kann Valentino Rossi um den zehnten Titel kämpfen? Wie schlägt sich Jorge Lorenzo bei Ducati? Wird Tom Lüthi seiner Rolle als Moto2-Titelfavorit gerecht? Wie stark sind Suter und KTM? Kann Philipp Öttl in der Moto3-Klasse ganz vorne mitmischen? Fragen über Fragen.
Der Saisonauftakt in Katar unterliegt meist seinen eigenen Gesetzen, doch er lieferte die ersten Antworten und sorgte für einige Überraschungen. Beginnen wir mit der offensichtlichsten Überraschung – neben den Wetterkapriolen: die Führungsrunden von Johann Zarco, der bei den Testfahrten meist noch im Schatten seines Teamkollegen Jonas Folger stand.
Was zeichnet eine gute Überraschung aus? Sie triff uns unvorbereitet und versetzt uns in Staunen. Die Münder vieler MotoGP-Fans standen wohl weit offen, als sich Rookie Zarco nach dem Start des MotoGP-Rennens an Top-Piloten wie Viñales, Iannone und Márquez vorbeistürmte und sich in Führung setzte. Noch überraschender: Der Franzose konnte sich immer weiter absetzen und hatte bereits 1,6 sec Vorsprung.
Keine große Überraschung war jedoch das vorzeitige Ende seines Triumphzuges. Die Tech3-Yamaha gab bereits einige Warnschüsse ab, bevor dem Franzosen in der siebten Runde in Kurve 2 das Vorderrad einklappte. «Zarco war sehr beeindruckend. Sehr, sehr, sehr stark. Ich denke, dieser Fehler unterlief ihm wegen mangelnder Erfahrung und den schwierigen Bedingungen. Aber es war trotzdem eine großartige Leistung», lobte Valentino Rossi.
Für eine äußerst positive Überraschung sorgte auch Aleix Espargaró auf der Aprilia. Nach dem enttäuschenden 15. Startplatz betonte der Spanier, wie gut seine Pace für das Rennen sei. Trotz dieser Aussage waren Fans und Experten mehr als überrascht, als Espargaró Repsol-Honda-Pilot Dani Pedrosa herausforderte und einer der schnellsten Piloten der zweiten Rennhälfte war. Der Aprilia-Pilot überquerte als Sechster nur 0,9 sec hinter Weltmeister Marc Márquez die Ziellinie. Espargaró lobt vor allem die Stabilität der Aprilia, die ihm ein aggressives Vorgehen in den Bremsphasen ermöglicht. Doch das Potenzial neuer Reifen kann er mit der RS-GP nicht nutzen, was ihn in den Qualifyings weit zurückwerfen wird. In Argentinien muss Espargaró jedoch noch den Beweis erbringen, dass seine Glanzleistung in Katar kein Einzelfall bleibt.
Eine der negativen Überraschungen des Katar-GP: Platz 11 von Jorge Lorenzo bei seinem Ducati-Debüt. Sicher, nach Lorenzos Wechsel zu Ducati wurde erwartet, dass der Spanier eine gewisse Zeit braucht, um sich auf die Ansprüche der kraftvollen Desmosedici einzustellen, die sich klar von jenen der Yamaha M1 unterscheiden. Doch dass Lorenzo, der 2016 in Katar auf Yamaha siegte, beim Saisonauftakt nur Platz 11 belegte, war eine Enttäuschung für seine Fans und Ducati. Eine weitere Überraschung: Scott Redding auf Platz 7 als zweitbester Ducati-Pilot.
Nach Platz 4 bei den Testfahrten in Katar mit nur 0,189 sec Rückstand auf Viñales war zumindest mit einem Top-6-Resultat des dreifachen MotoGP-Weltmeisters beim Saisonauftakt zu rechnen. Doch nun steht fest: Lorenzo braucht mit der Desmosedici noch mehr Zeit.
Trotzdem schließen seine Gegner nicht aus, dass sich Lorenzo schnell steigern wird. Während ihm Viñales sogar noch eine Chance auf den Titel einräumt, erklärte Rossi: «Wir alle sind uns sicher, dass Lorenzo ein großartiger Fahrer ist. Er ist einer der Besten und hat großes Talent. Ich denke, dass er damit umgehen kann und sich im Verlauf der Saison steigern wird.» Die große Frage ist nun, wie schnell sich Lorenzo anpassen kann, denn Zeit ist Geld oder in diesem Fall: WM-Punkte.
Als überraschend kann auch bezeichnet werden, dass die sonst so hart umkämpfte Moto2-Klasse in Katar für das Rennen mit der wenigsten Action sorgte. Während in der Moto3- und der MotoGP-Klasse der Kampf um den Sieg lange offen schien, setzte sich im Moto2-Rennen Franco Morbidelli schnell von seinen Verfolgern wie Tom Lüthi ab und legte einen Start-Ziel-Sieg hin. Auch die Rookies in der Moto2-Klasse überraschten mit starken Leistungen. Allen voran Hersteller-Rookie KTM mit Miguel Oliveira. Vor dem Start des Moto2-Rennens hätten wohl nur wenige ihr Geld darauf gesetzt, dass der Portugiese nur um 0,280 sec einen Podestplatz verpassen wird.
Überraschend in der Moto3-Klasse: Enea Bastianini und Nicolò Bulega, die 2016 die WM-Ränge 2 und 7 belegten, wurden vor dem Saisonstart als Titelfavoriten gehandelt. Doch in Katar musste sich Bulega aus dem VR46-Team mit Platz 14 und mageren zwei WM-Punkten abfinden, Bastianini ging als 16. sogar leer aus.
Eher vorhersehbar als überraschend war die Tatsache, dass Altmeister Valentino Rossi am Renntag in Katar wie so oft ein weißes Kaninchen aus dem Hut zauberte und an der Spitze mitmischte. Obwohl der neunfache Weltmeister im Winter über Probleme mit seiner Yamaha klagte, war vielen Fans klar, dass der «Doctor» trotzdem nicht zu unterschätzen ist. Rossi blüht erst richtig auf, wenn es ums Ganze geht, wie er selbst bestätigte: «Ich verstehe immer mehr während der Rennen. Die Tests sind anders. Um ehrlich zu sein, bin ich auch recht alt, deshalb ist es ohne die Motivation und den Druck eines Rennens schwieriger.»
Natürlich stand vor dem Rennen in Katar folgende Frage im Raum: Setzt Maverick Viñales seine Dominanz bei den Testfahrten auch im Rennen fort? Die wenig überraschende Antwort: Ja. Maverick, der nach dem Helden des Action-Klassikers «Top Gun» benannt wurde, lauerte zunächst auf Platz 4, bevor er sich im Duell um den Sieg gegen Andrea Dovizioso durchsetzte. Auch «Dovis» zweiter Platz kam wenig überraschend, bereits 2015 und 2016 mischte er in Katar an der Spitze mit und wurde Zweiter.
Die sehr erfreulichen Leistungen der Rookies Alex Rins und Jonas Folger waren nach ihren soliden Testfahrten ebenfalls nicht besonders überraschend, obwohl Rins mit der Suzuki von Platz 18 starten musste. Mit den Rängen 9 und 10 gelang Rins und Folger ein hervorragender Einstand. Enttäuschend verlief sein erstes MotoGP-Rennen hingegen für Sam Lowes. Der Brite, der seinem Ruf als Sturzkönig auch mit der Aprilia bereits Tribut zollte, erreichte nur den 18. und letzten Platz.
Insgesamt bertrachtet, erlebten die MotoGP-Fans in Katar einen großartigen Saisonauftakt mit viel Action, einigen Überraschungen und spannenden Rennen. Nach dem gelungenen Start in die Saison 2017 steht nun das zweite Rennwochenende in Argentinien vor der Tür. Dort wird sich zeigen, ob sich die ersten Tendenzen aus Katar bestätigen oder wir erneut von einigen Fahrern unvorbereitet in Erstaunen versetzt werden.