KTM: Die 58 Werksfahrer müssen beim Sparen helfen
Momentan schwanken die MotoGP-Verantwortlichen zwischen Bangen und Hoffnung. Einerseits besteht eine gewisse Aussicht, im August oder September wieder WM-Läufe veranstalten zu können, wenn auch ohne Zuschauer und unter strenger Einhaltung aller Maßnahmen von der Abstandsregel bis zum Maskentragen und den neuen Hygienevorschriften.
Anderseits sind die Grenzen in ganz Europa geschlossen, ein Ende ist nicht abzusehen, die Beherbergungsbetriebe sind geschlossen, Einreisen werden nur unter Vorlage einer Gesundheitsbestätigung (maximal 4 Tage alt) erlaubt oder wenn man sich 14 Tage in strenge Selbstquarantäne begibt.
Nicht weniger als 24 GP-Fahrer kommen aus Italien, dazu sind dort sechs von elf MotoGP-Teams stationiert, dazu je fünf Teams in den Klassen Moto2 und Moto2. Deshalb ist seit geraumer Zeit klar, dass in absehbarer Zeit kein Motorrad-GP durchgeführt werden kann. Denn man kann diese Teams und Fahrer nicht einfach aussperren, auch die Spanier, Franzosen und Briten nicht, die Amerikaner und Australier nicht, die Japaner und anderen Asiaten schon gar nicht.
Aber der Flugverkehr ist weltweit stillgelegt...
Und so richtig wird sich die Situation erst einigermaßen normalisieren, wenn en Impfstoff gegen den Coronavirus vorhanden ist. Also in einem Jahr. Medikationen werden vielleicht am Jahresende vorhanden sein. Aber da inzwischen namhafte Ärzte bei den Infizierten und Genesenen bleibende Lungenschäden diagnostizieren, will sich keiner, der halbwegs bei Trost ist, freiwillig einer Ansteckungsgefahr aussetzen.
Trotzdem bereiten sich Dorna, IRTA und die FIM auf ein Szenario vor, das einen Re-Start der WM in der Saison 2020 ermöglicht, voraussichtlich nur in Europa und unter sehr außergewöhnlichen Umständen. Zum Beispiel ohne Teamgäste, ohne pompöse Hospitalitys, ohne Zuschauer, ohne Medien, maximal 1000 Personen sollen ins Fahrerlager eingelassen werden, am besten alle getestet oder mit einem frischen «health certificate» ausgestattet.
«Wir dürfen keinen einzigen Menschen neu infizieren», ist sich Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta bewusst.
Bisher haben die Teams mit den GP-Funktionären eine Maximalzahl von Teammitgliedern für den Re-Start vereinbart, damit maximal 1000 Personen Zutritt zum Paddock bekommen. Private MotoGP-Teams dürfen 25 Menschen einschleusen, die Werksteams (ohne Aprilia, denn Gresini gilt als Privatteam), die MotoGP-Werksteams von Honda, Yamaha, Suzuki, Ducati und KTM dürfen 2020 je 40 Personen (inklusive Piloten) zu den restlichen Grand Prix bringen. In den Klassen Moto3 und Moto2 sind inklusive Fahrer je zwölf Teammitglieder zugelassen.
Jetzt kümmern sich alle Teams um Ideen zur Kostensenkung. Gleichzeitig müssen die Vereinbarungen mit den Sponsoren neu verhandelt werden – für 2020 und 2021. Viele Firmen fürchten um ihren Fortbestand, die Umsatzeinbussen werden teilweise dramatisch ausfallen, im Tourismus 2020 zwischen 80 und 95 Prozent. Inzwischen steht fest, dass alle 2020-Bikes auch 2021 verwendet werden. Die MotoGP-Teams können dadurch die Leasingkosten von ca. 2,2 Millionen Euro pro Fahrer auf zwei Jahre aufteilen.
Bei den MotoGP-Werksteams bilden die Fahrergagen einen heftigen Bestandteil der Gesamtbugdets.
Die KTM-Gruppe hat für die Marken KTM, Husqvarna und GasGas nicht weniger als 58 Werksfahrer und 460 Teammitglieder unter Vertrag, in allen erdenklichen Disziplinen von Moto3, Moto2, MotoGP bis zur Cross-WM, Supercross-WM, im Enduro-Sport und Cross-Country-Sport wie der Dakar-Rallye.
In keiner namhaften Serie wird jedoch in diesem Jahr die geplante Anzahl von Wettbewerben stattfinden.
Deshalb wird der 47-jährige KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer die Fahrergagen für die Saison 2020 neu verhandeln müssen, sobald ein faktenbasierter neuer Kalender mit belastbaren Daten vorliegt.
«Wir haben durch das wirklich hervorragende Kurzarbeitsmodell in Österreich bisher für unseren Mitarbeitenden keine Lohneinbußen gehabt, weil wir im März den Betrieb stillgelegt haben», schildert Beirer. «Nach dem Betriebsurlaub fallen die Löhne auf 80 Prozent. Das halte ich in dieser schwierigen Zeit für eine vertretbare Abstufung. Und wenn wir länger keine Rennen fahren können, werden wir unsere Werksfahrer in einem ähnlichen Ausmaß an diesen Einsparungen beteiligen. Aber das können wir erst vertieft diskutieren, sobald wir einen Überblick über den restlichen Kalender haben. Und wenn die komplette Saison ausfällt, müssten wir das Thema Fahrergagen neu diskutieren. Aber wir versuchen schon alle Mitarbeiter und Personen, die für unsere Marken unterwegs sind, so gut wie möglich zu behandeln, damit keiner in ein richtiges Loch fällt. Wir möchten alle Beteiligten mitnehmen, aber jeder muss ein bisschen was dazu beitragen, das auch das Unternehmen heil aus dieser Krise herauskommt.»
«Der erste Beitrag jedes Einzelnen besteht ja schon mal darin, dass Urlaubsansprüche abgebaut wurden», ergänzte Beirer. «Natürlich wurden diese Urlaube irgendwann für schönere Dinge wie Ausgangssperren oder Quarantäne angespart… Aber das lässt sich in dieser Situation nicht ändern.»
In den Fahrerverträgen ist meist festgeschrieben, dass der vereinbarte Betrag reduziert wird, falls die Leistung nicht zur Gänze erbracht wird, das heißt: Wenn nicht alle geplanten Tests oder Wettkämpfe bestritten werden.
Im Vorjahr war mit Johann Zarco eine Jahresgage von € 1,8 Mio vereinbart. Sie wurde weiterbezahlt, als der Franzose von KTM nach dem Misnao-GP entlassen wurde. Erst als sich Zarco für die letzten drei Rennen mit LCR-Honda einigte, wurde die Gage anteilsmässig gekürzt – um ca. 250.000 bis 300.000 Euro.
«Wir haben in den Verträgen Klauseln drin, dass die Arbeitsleistung erbracht werden muss, wenn man Anspruch auf das Geld erhebt», erläuterte Beirer im Interview mit SPEEDWEEK.com. «Wenn es ganz hart auf hart kommt, könnte man die Gagen für das bezahlen, was von den Athleten wirklich geleistet wurde. Aber wenn wir diese Diskussion führen müssen, sind wir schon zwei Schritte weiter als wir alle gehen wollen. Jeder muss etwas beitragen, damit wir mit Kostenersparnissen über die Monate April, Mai und Juni kommen. Denn wir müssen noch ein Budget zur Verfügung haben, wenn wir im Herbst noch eine Anzahl von acht, zehn oder elf Rennen absolvieren können. Die Reduktion der Lohnkosten soll für niemanden zu schmerzhaft sein.»
Beirer weiter: «Die Spirale dreht sich momentan sehr schnell. Die Menschen verlieren ihren Job und können bald ihre Miete nicht mehr bezahlen. Gegen solche Abwärtsspiralen möchten wir bei KTM als Führungskräfte und Unternehmer schnell gegensteuern. Wir können uns keine Schockstarre von mehreren Monaten leisten. Den Shutdown konnte man sich vorübergehend leisten, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Aber jetzt müssen wir den Wirtschaftskreislauf bald wieder hochfahren. Daran führt kein Weg vorbei. Das produzierende Gewerbe, an dem sehr viele Arbeitsplätze hängen, muss wieder hochfahren. Man muss wieder schöne Dinge und Produkte herstellen, die manche Menschen brauchen. Und jene Personen, die Arbeit haben, können sich diese Produkte leisten. So wird der normale Wirtschftskreislauf wieder in Gang gesetzt.»