Aprilia in der MotoGP: Hängt der Haussegen schief?
Alvaró Bautista auf dem Red Bull Ring: Ein schwieriges Terrain für die Aprilia RS-GP 16
Das Aprilia Racing Team Gresini erlebte beim GP von Österreich den GAU. Während der italienische Erzrivale Ducati mit dem triumphalen Doppelsieg durch Andrea Iannone und Andrea Dovizioso alles überstrahlte, blieben Alvaro Bautista und Stefan Bradl auf den Rängen 16 und 19 (nach Frühstarts beider Fahrer) punktelos.
Dass der Red Bull Ring mit seinen drei Geraden und dem kräfteraubenden Bergaufstück nach Turn 1 eine arge Herausforderung für das italienische Werksteam darstellen würde, war nach dem Zwei-Tage-Test vom 19./20. Juli und dem Qualifying mit den Rängen 18 und 21 klar.
Nach dem WM-Lauf in Österreich ließ Aprilia im Press-Release die beiden Fahrer gar nicht zu Wort kommen, eine außergewöhnliche Maßnahme.
Dafür bekamen Bautista und Bradl von Piaggio-Group-CEO Roberto Colaninno ihr Fett weg – eine verbale Abreibung.
Zur Erinnerung: Bautista und Bradl wurden wie auch Crutchlow, Hernandez und Barbera wegen des Frühstarts Durchfahrtsstrafen aufgebrummt. Bradl musste sogar zweimal an die Box, beim ersten Mal ließ er von der Crew kontrollieren, warum das Dashboard verrückt spielte, wo ein rotes und und gelbes Licht flackerte, das dort nichts verloren hatte. Dafür war dort alles schwarz, wo sonst Rundenzeit und Sektorzeit abzulesen ist. Bei Bautista sah es ähnlich aus.
Irgendwie hatte es Aprilia nicht geschafft, die Informationen der Race-Direction («jump start, ride through penalty») korrekt auf das Display im Cockpit der Fahrer zu überspielen.
In der Pressemitteilung stand nachher zu lesen, die Aprilia-Fahrer hätten mit den RS-GP 16-Maschinen Chancen auf das beste Ergebnis der Saison gehabt.
Man darf aber vermuten: Bautista hätte auch ohne Frühstart keinen Punkt geholt, denn Cal Crutchlow fuhr konstant schneller – und landete nur deshalb auf Platz 15, weil Laverty am Schluss noch abgeschossen wurde und Aleix Espargaró wegen Schmerzen aufgeben musste.
Übrigens: Das beste Aprilia-Saisonergebnis gab es in Barcelona mit den Rängen 8 und 10 durch Bradl und Bautista. Solche Platzierungen lagen gestern für Aprilia außer Reichweite.
Nach dem Österreich-GP veröffentlichte die Piaggio Group ein weltfremdes Statement von Roberto Colaninno, dessen Inhalt wir den Lesern nicht vorenthalten wollen. «Aprilia hatte heute alles, was gebraucht wurde, um den Fortschritt zu demonstrieren, der mit der RS-GP erzielt wurde. Das neue Motorrad wurde seit dem ersten Rennen in diesem Jahr schrittweise verbessert. Wir können nicht akzeptieren, dass wir wegen menschlichen Versagens daran gehindert werden, jene Resultate zu erreichen, die Aprilia und dieses Motorrad verdienen, sei es wegen des technischen Managements oder wegen der Art und Weise, wie das Rennen bewältigt wurde. Der MotoGP-Kalender gibt uns die Möglichkeit, uns gleich am nächsten Wochenende in Brünn schadlos zu halten. Ich habe komplettes Vertrauen in Romano Albesiano und in das neue Motorrad. Aber wir müssen die Ärmel hochkrempeln und weiter jeden Tag unermüdlich arbeiten, damit wir für das nächste Rennen besser vorbereitet sind und den Aufwärtstrend fortsetzen können, der bisher gezeigt wurde.»
Manche Indizien sprechen dafür, dass bei Aprilia Racing der Haussegen schief hängt.
Manches passt irgendwie nicht zusammen. Romano Albesiano hat in der Saison 2016 mehrmals versichert: «Unsere Fahrer sind besser als unser Motorrad.»
Trotzdem werden für 2017 beide Fahrer ausgewechselt, statt Bautista und Bradl kommen Aleix Espargaró und Sam Lowes.
Beim Sachsenring-GP schwärmte Albesiano: «Unser Motorrad hat keine Schwachstellen.»
Eine wörtlich gleiche Aussage hat der bemühte Aprilia-Rennmanager ggenüber SPEEDWEEK.com bereits beim Malaysia-Test im Februar 2015 getätigt, als noch mit einer Art Claiming-Rule-Maschine mit 15 kg Übergewicht gefahren wurde.
Man darf sich getrost fragen: Wenn die Werks-Aprilia 2016 keine Schwachstellen hat, warum wurde dann beim Spielberg-Test im Juli bei allen drei Piloten (Bautista, Lowes, di Meglio) ohne Zeitnahme-Transponder gefahren?
Warum wurden beim Spielberg-GP bei Aprilia teilweise die Flügel abmontiert, um den Luftwiderstand zu verringern? Weil ein Leistungsüberschuss vorherrschte?
Die Antwort ist einfach: Aprilia hatte Angst, von Neuling KTM (die Österreicher steigen erst 2017 in die WM ein) blamiert zu werden.
Tatsächlich fuhr Testfahrer Mika Kallio dann 0,1 sec schneller als Bautista.
Noch was: Colaninno sprach Albesiano gestern sein Vertrauen aus. Im Fußball heißt das: Gefahr in Verzug, der Job wackelt.
Naja, vorläufig müssen Bautista und Bradl als Sündenböcke herhalten.
«Keiner ist mehr verärgert über das Resultat dieses Rennens als ich», wetterte Albesiano gestern. «Selbst auf einer Piste, die uns nicht liegt, hatten wir die beste RS-GP des Jahres vorbereitet. Unser Motorrad hat fühlbare Verbesserungen offenbart, beim Motor und bei der Rennpace, die Rundenzeiten haben das zweifellos bewiesen. Alvaro hätte easy in die Top-Ten fahren können, wenn er keine Probleme gehabt hätte. Wir können nicht akzeptieren, dass unsere Fahrer am Start abgelenkt werden und wir auf Grund von trivialen Fehlern auf unserer Seite nicht in der Lage sind, die erforderlichen Nachrichten auf das Dashboard zu bringen. Von Professionals wie Alvaro und Stefan erwarte ich Konzentration und maximale Entschlossenheit – bis zum Ende der Saison. Ich möchte das gesamte Team zu einer Sonderleistung aufrufen, wir müssen nonstop arbeiten, auch während der August-Ferien, um für Brünn optimal vorbereitet zu sein. Wir können das Spielberg-Ergebnis dort ausgleichen und vergessen machen. Wir müssen jene Ergebnisse sicherstellen, die unserem Potenzial entsprechen.»
Naja. Ich habe in den Press-Releases von LCR, Avintia und Pull & Bear Ducati gestöbert. Dort habe ich nicht den leisesten Vorwurf der Teams an die Fahrer gefunden, die einen Frühstart fabriziert haben. Wir reden von Crutchlow, Barbera und Hernandez. Auch keine sprichwörtlichen Nasenbohrer und Versager. Hat nicht Lorenzo auch schon mal einen Frühstart gemacht?
Aprilia-Debakel: Liegt es an den Fahrern?
Es ist ja verständlich, wenn ein in Schwierigkeiten steckender Rennstall die Fahrer verantwortlich macht und sie austauscht.
Aber wenn die Aprilia wirklich keine Schwachstellen hat, warum hat sich dann Lorenzo für Ducati entschieden und Viñales für Yamaha?
Und warum musste Aprilia mit Aleix Espargaró (Suzuki entlässt ihn und holt Rookie Alex Rins) den letzten Fahrer nehmen, der bei einem Werksteam arbeitslos wurde und neben Aprilia nur noch Superbike-Angebote prüfte?
Ein Blick in die Statistik lässt uns vermuten, dass Aprilia nicht die größten fahrerischen Versager unter Vertrag hat. Bautista war 125-ccm-Weltmeister 2006 auf Aprilia, Bradl war Moto2 Weltmeister auf Kalex 2011.
Bautista (30) hat im GP-Sport bisher 16 Siege errungen und insgesamt 49 Podestplätze, drei davon in der MotoGP. Bradl (26) hat sieben GP-Siege errungen und insgesamt 19 Podestplätze, einen davon in MotoGP.
Die Aprilia-Nachfolger Sam Lowes und Aleix Espargaró haben im GP-Sport keinen Weltmeistertitel errungen, Lowes hat in drei Jahren zwei GP-Siege und neun Podestplätze in der Moto2 geschafft. Immerhin: 2013 wurde der Engländer auf Yamaha Supersport-Weltmeister. Aleix Espargaró hat in 188 GP-Einsätzen bisher keinen WM-Titel und zwei Podestplätze – einen dritten Platz in Moto2 und einen zweiten Platz in MotoGP.
Ob das neue Aprilia-Fahrerduo also wesentlich schlagkräftiger sein wird, wird sich noch herausstellen.
Sam Lowes stürzte gestern im Rennen zweimal. Den Ruf des Sturzpiloten wird er nicht so rasch loswerden. «Er wird in MotoGP mit seiner Fahrweise die Reifen im Rennen nach zehn Runden ruiniert haben», meint ein Aprilia-Techniker.
Aprilia hat 54 Weltmeistertitel gewonnen. Es gab die goldene Ära mit Jan Witteveen und danach mit Gigi Dall'Igna, der aber im Oktober 2013 zu Ducati überlief und gestern endlich auch in der MotoGP-WM triumphierte.
Ein schmerzhafter Tag für Aprilia und Roberto Colaninno, der in der MotoGP-Klasse zeigen will, dass die Piaggio Group auch ohne Gigi Dall'Igna erfolgreich sein kann.
Den Beweis ist Aprilia bisher schuldig geblieben.
Viele Experten behaupten: Als Sylvain Guintoli 2014 den letzten Superbike-WM-Titel für Aprilia gewann, profitierte das Team noch von der Hinterlassenschaft des Gigi Dall'Igna. Heute liegt das Superbike-Projekt von Aprilia darnieder.
Und es wird immer schwieriger, die Performance des MotoGP-Teams aus Noale schönzureden.
Das MotoGP-Budget von Aprilia wird irgendwo zwischen 20 und 30 Millionen Euro liegen. Beim «return of investment» sieht es bisher eher trist aus.
In Italien stellen sich viele Insider längst die Frage, wann bei Roberto Colaninno der MotoGP-Geduldsfaden reißt.
Fakt ist: Aprilia hat bei der Dorna noch keinen neuen Vertrag für die nächsten fünf Jahre nach 2016 unterschrieben. Und Aprilia besitzt als einziger Hersteller keinen eigenen Teamplatz. Man hat ihn für vier Jahre bis Ende 2018 bei Fausto Gresini gemietet.
Da steht also eine Hintertüre offen.
Mit den Verkaufszahlen von Aprilia lässt sich das MotoGP-Projekt sowieso nicht rechtfertigen. Aber mit den Fabrikaten Derbi, Gilera, Vespa, Piaggio, Moto Guzzi und Aprilia verkauft die Piaggio Group insgesamt 500.000 motorisierte Zweiräder im Jahr, großteils Roller.
«Aprilia hätte 2015 nicht mit dem umgebauten Superbike überhastet in die MotoGP-WM zurückkehren, sondern wie geplant erst 2016 einsteigen sollen», meint der ehemalige Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen. «Da für 2016 eine neue Elektronik kam, dazu Michelin-Reifen statt Bridgestone und ein völlig neues Motorrad von Aprilia, waren die Daten und Erkenntnisse aus dem Vorjahr für 2016 wertlos. Man hätte lieber ein Jahr testen sollen wie Suzuki und KTM.»
Dann wären das neue Motorrad und der neue Werksmotor vielleicht auch nicht vier oder sechs Monate zu spät fertig geworden.