Mattia Binotto (Ferrari): «Wir hatten Sieg verdient»
Viele Tifosi schliessen sich nach diesem Grand Prix von Kanada der Meinung von Sebastian Vettel an: «Wir sind mindestens der moralische Sieger dieses Rennens. Sie haben uns diesen Sieg weggenommen.» Bei der Siegerehrung herrschte eine unwirkliche Stimmung, richtiger Jubel ist anders, es war, als wäre mitten in einer rauschenden Schul-Party der Rektor in die Turnhalle gekommen, hätte die Musik aus- und das Licht angedreht und gesagt: «Fertig jetzt, geht alle nach Hause.»
Typisch Mattia Binotto, dass er auch in dieser Situation die Fassung bewahrt. Nur der liebe Gott weiss, wie es im Italiener drin brodelt. Der Team- und Technikchef von Ferrari ist die Ruhe in Person, ganz besonders in schwierigen Momenten. Was sagt er zur Entscheidung der Rennkommissare, Vettel eine Fünfsekundenstrafe aufzubrummen, einer Entscheidung, die nicht nur Tifosi rundweg als Skandal einstufen?
Binotto: «Wir schauen lieber nach vorn, als uns im Gefühl zu suhlen, betrogen worden zu sein. Wir müssen uns auf das Positive konzentrieren und das ist – wir waren an diesem Wochenende konkurrenzfähig, die Pole-Position und die tolle Führung von Sebastian ist ein enormer Ansporn für das ganze Team. Natürlich sehen wir uns als moralischer Sieger. Aber mein stärkerer Eindruck ist: Wir waren hier bei der Musik. Wir haben in Kanada ein wenig unseren Rhythmus zurückgefunden, wir müssen mit diesem Eindruck abreisen. Wir haben ein schönes Rennen gezeigt.»
«Was hier in Kanada passiert ist, das spornt uns an, in Maranello noch härter zu arbeiten. Wir müssen positiv bleiben. Die Entscheidung heute war nicht richtig. In solchen Situationen ist es elementar, dass ein Fahrer die ganze Unterstützung seines Teams erhält, und Sebastian hat diese Unterstützung.»
Der vierfache Weltmeister hat sich nicht an das strenge Prozedere des Autoverbands FIA gehalten, was den Ablauf der Siegerzeremonie betrifft. Erwartet hier Mattia Binotto gar noch eine weitere Strafe? Binotto, nun entrüstet: «Also, DAS wäre jetzt wirklich unfair. Ich kann den Ärger von Sebastian Vettel gut nachvollziehen, jeder Fahrer würde in seiner Situation so reagieren.»
«In solchen Situationen bist du eben machtlos. Wir fällen nicht diese Entscheidungen, aber wir erlauben es uns, eine andere Meinung zu haben. Ich kann mich an einige vergleichbare Rennsituationen erinnern, und damals ist das Urteil der Kommissare ein wenig anders ausgefallen. Das erfüllt mich mit Bitterkeit. Wir hatten diesen Sieg verdient.»
«Vettel war im Rennen und unmittelbar danach sehr, sehr wütend. Wir haben dann versucht, ihn ein wenig zu beruhigen. Sein Ärger ist bald verflogen, weil er einsah – es bringt ohnehin nichts mehr. Jeder andere Racer hätte sich in dieser Situation so verhalten wie er, ich erkenne keine Absicht, Hamilton zu behindern. Vettel hatte doch gar keine Alternative als mit seinem Wagen so zu ringen, wie er das getan hat.»