Rätsel Racing-Raritäten: Einer der Letzten seiner Art
Meist aus dem Archiv unserer Partner der britischen Foto-Agentur LAT stellen wir bekanntlich jede Woche ein kleines Stück Motorsporthistorie vor. Das Vorgehen ist kinderleicht – sagen Sie uns, wer zu erkennen ist, wo und wann das Bild entstand (Beispiel: Jo Siffert, Monza, 1970) und gewinnen Sie mit etwas Glück einen kleinen Preis. Bitte Namen, Adresse, Geburtsjahr und Telefonnummer nicht vergessen. Schicken Sie Ihre Lösung an: mathias.brunner@speedweek.com. Einsendeschluss ist jeweils Sonntag der laufenden Woche, 24.00 Uhr.
Die Lösung vom letzten Mal: Der Engländer John Surtees mit seinem Lola Mk4-Climax in Zandvoort 1962. Am 11. Februar 2020 wäre John Surtees 86 Jahre alt geworden. Was der Engländer in seiner grossen Karriere geleistet hat, bleibt einzigartig: Weltmeister auf zwei Rädern und später auch in der Formel 1. In jenem Grand Prix der Niederlande 1962 konnte Surtees von Glück reden, nicht schwer verletzt zu werden – nach einem Aufhängungsbruch vorne links kam er von der Bahn ab, Fangzäune hielten den Rennwagen auf, bevor er in Reihen dahinter parkierter Motorräder geprallt wäre.
Am 10. März 2017 endeten die Formel-1-Wintertests von Barcelona auf einer traurigen Note: Aus England erreichte uns die Nachricht, dass der grosse John Surtees verstorben ist.
Was John Surtees erreicht hat, wird es nie wieder geben: Der Engländer ist der einzige Rennfahrer, der WM-Titel sowohl in der Motorrad-WM (vier Mal 500er, drei Mal 350er Champion) als auch in der Formel-1-WM (1964 Weltmeister mit Ferrari) erringen konnte. Ganz abgesehen davon, dass «Big John» anschliessend seinen eigenen Rennstall gründete und Formel-1-, Formel-2- sowie Formel-5000-Autos baute.
Später arbeitete Surtees unermüdlich als Botschafter für die Stiftung «Racing Steps» (die mittellose Renntalente fördert), der Goldtimer engagierte sich für mehr Sicherheit im Strassenverkehr und war Repräsentant mehrerer Firmen, wie etwa Shell.
Surtees wurde spät nochmals Vater, sein Sohn Henry galt als kommender Star. Doch am 19. Juli 2009 verunglückte der 18jährige Henry beim Formel-2-Rennen in Brands Hatch tödlich, als er von einem abgerissenen Rad eines gegnerischen Autos am Kopf getroffen wurde. Es war einer jener Unfälle, die beim Autoverband FIA die Gewissheit stärkte, dass in Sachen Schutz für den Kopf des Piloten mehr getan werden muss. Heute haben wir den Kopfschutz Halo (Heiligenschein).
John Surtees sagte damals: «Mein Sohn folgte seinem Herzen von dem Zeitpunkt an, als er zum ersten Mal in einem Kart sass. Die Zukunft schien verlockend, und er blühte in der Welt des Motorsports auf. Er hatte sich selber bewiesen, dass er einer jener war, welche die Spitze erreichen können.»
Nach dem Tod seines Sohnes gründete John Surtees die Henry-Surtees-Stiftung, die sich für Menschen mit Hirnverletzungen einsetzt.
John Surtees war ein wundervoller Repräsentant seines Sports. Als Gast von Shell kam er 2011 nach Spa-Francorchamps. Er war damals 77 Jahre alt, aber als er vom Rennsport in den 60er Jahren erzählte, brannte das innere Feuer lichterloh: Die Menschen hingen an seinen Lippen und lauschten gebannt, unter welch haarsträubenden Bedingungen die Stars von damals ihrer Leidenschaft nachgingen. Die Briten Jim Clark und Jackie Stewart, Graham Hill und John Surtees, sie gewannen in den 60er Jahren sieben von zehn Titeln, und Surtees konnte seine Zuhörer auf eine unfassbare Zeitreise mitnehmen.
Die Veranstalter von Shell wurden zunehmen nervös, weil sich Surtees nun warmgeredet hatte, der Zeitplan wurde komplett über den Haufen geworfen, aber das war Surtees sichtlich egal, wenn er über seinen geliebten Sport sprechen konnte.
Ein paar Jahre später wollte es der Zufall, dass ich Surtees beim Abendessen traf. Am gleichen Tag hatte ich in der Libreria di Monza ein Buch über Surtees gekauft, in der Buchhandlung von Mario ging das halbe Fahrerlager ein und aus, bis die Miete seines kleinen Häuschens zu stark anstieg und er sich zur Ruhe setzte.
Das Buch lag also in meinem Hotelzimmer, und nachdem ich mich zu Tisch gesetzt hatte, nahm am Nebentisch Surtees mit seiner Tochter Edwina Platz. Normalerweise störe ich Rennfahrer nicht beim Essen, aber diese Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Ich stürmte ins Zimmer hoch, holte das Buch und näherte mich zaghaft. Surtees sah das Buch, grinste, stand auf, kam lächelnd meiner Frage nach, es zu signieren, und nachdem ich mich artig bedankt hatte und mich umdrehen wollte, hielt er mich am Hemdsärmel zurück. «Darf ich rasch sehen?» fragte er. Surtees schlug das Buch auf und begann zu erzählen. Edwina rollte schmunzelnd mit den Augen, sie wusste genau, was nun kommen würde. Surtees nahm sich Zeit, über einige Fotos zu sprechen, neben uns wurde die Pasta kalt. Es war erstaunlich – wenn Surtees über seinen Sport sprach, wirkte er sofort um zwanzig Jahre jünger, seine Erinnerungen waren glasklar.
Ich behüte diese Momente wie einen Schatz.
Der Sohn des Windes
John Surtees wurde früh mit dem Motorsport-Virus infiziert. Kein Wunder, schliesslich war der am 11. Februar 1934 in Tatsfield in der Grafschaft Surrey geborene John Sohn des Motorradhändlers und Hobby-Seitenwagenpiloten Vincent Surtees.
Seine ersten Rennkilometer spulte der kleine John denn auch im Seitenwagen des Motorrads seines Vaters ab – und durfte gleich bei der Premiere den Sieg bejubeln. Allerdings wurde das Vater-Sohn-Gespann disqualifiziert, weil John als 14-Jähriger zu jung war.
Sein erstes Motorradrennen bestritt er ein Jahr später auf einer Grasbahn. Damals absolvierte er in der Werkstatt seines Vaters eine Mechaniker-Ausbildung. 1955 holte ihn Norton-Rennchef Joe Craig ins Werksteam und sorgte damit für den Beginn einer grandiosen Motorrad-Karriere.
Als Surtees ein Jahr später zu MV Agusta wechselte, wurde ihm schnell der Spitzname «Figlio del vento» (Sohn des Windes) verpasst. Zu Recht, zwischen 1956 und 1960 holte er insgesamt sieben WM-Titel – drei in der 350-ccm-Klasse und vier in der 500-ccm-Meisterschaft.
Danach wechselte Surtees auf vier Räder und bestritt zwischen 1960 und 1972 insgesamt 111 Grands Prix. Sechs davon beendete er als Sieger, 1964 durfte er in seinem vierten GP-Jahr beim letzten Saisonrennen den WM-Titelgewinn mit Ferrari feiern. Es war das Highlight seiner Automobilsport-Karriere, die ein Jahr später durch einen schweren Unfall auf dem Mosport Circuit in Kanada fast beendet worden wäre.
Doch schon beim Saisonstart 1966 sass Surtees wieder am Steuer, in jenem Jahr sicherte er sich den zweiten Gesamtrang in der WM und wurde erstere CanAm-Champion. Ab 1970 trat er im eigenen Formel-1-Team an, mit dem er allerdings keine grösseren Erfolge mehr feiern konnte. Nur noch in vier Rennen fuhr er in die Punkte, bevor er seine GP-Karriere 1972 beendete.
Auch bei den Sportwagen feierte Surtees grosse Erfolge, so gewann er etwa mit Ferrari auf dem Nürburgring, in Sebring und auf der Highspeed-Strecke von Monza.
Mit dem damaligen Rennleiter Eugenio Dragoni kam Surtees überhaupt nicht klar, 1966 kam es zum Eklat. Dragoni war der Meinung, Surtees habe sich vom Crash in Kanada noch nicht erholt. John war anderer Ansicht. Auch in Sachen Renntaktik. Dragoni wollte die Konkurrenz von Ford in eine Falle locken, indem Surtees von Anfang an volle Kanne fahren sollte. John Surtees fand das für ein 24-Stunden-Rennen keine wirklich weise Vorgehensart. Der Engländer fühlte sich auf einmal unverstanden, isoliert und ungeliebt und verliess das Team Knall auf Fall.
Später hat John Surtees gesagt: «Die Trennung war für mich und Ferrari traurig. Ich bin überzeugt, dass wir mindestens noch einen Titel hätten holen können.»
Aber letztlich tat Surtees nur das, was er auch als Shell-Gast oder beim Dinner in Monza getan hatte: Er folgte seinem Instinkt.
Er reflektierte einmal so: «Das Wichtigste für mich ist – was immer ich getan habe, es kam von Herzen.»
Damit zum neuen Rätsel: Dieser Pilot war Vertreter einer in den 70er Jahre rasch aussterbenden, ganz besonderen Art von Rennfahrern.
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