Ferrari verschmäht Nico Hülkenberg: Warum eigentlich?
Kimi Räikkönen, Nico Hülkenberg und Fernando Alonso
Martin Brundle – in der Formel 1 zwischen Brasilien 1984 und Japan 1996 158 Formel-1-Rennen alt geworden – ist heute einer der besten GP-Experten im Fahrerlager, in Diensten der britischen Sky. Beim Thema Nico Hülkenberg verfällt der 56jährige Brundle in eine Art Stehsatz: «Nico Hülkenberg sollte schon längst für ein Top-Team fahren. Ich verstehe nicht, wieso man den Deutschen ständig verschmäht. Bei McLaren etwa hätte ich zur Saison 2013 hin nicht Sergio Pérez geholt, sondern Hülkenberg.»
Immer wieder ist auch davon die Rede, wie Hülkenberg auch bei Ferrari im Gespräch war, und doch hat Kimi Räikkönen für 2016 den Vorzug erhalten. Oft erhalten wir E-mails von Lesern, die fragen: Was ist zwischen Ferrari und Hülkenberg schief gelaufen?
Über Vertragsverhandlungen reden Rennfahrer und Teamvertreter ungefähr so freiwillig wie übers Geld: also am liebsten überhaupt nicht.
Nach zahlreichen Gesprächen unter dem Siegel der Verschwiegenheit könnte sich aber ungefähr Folgendes abgespielt haben ...
Im Sommer 2013 platzte Fernando Alonso der Kragen. Die jüngsten Verbesserungen am Ferrari erwiesen sich als Fehlschlag, sein letzter Sieg lag schon Monate zurück (beim Heimrennen in Spanien, es sollte der letzte GP-Erfolg Alonsos für Ferrari sein), der Asturier merkte, dass es auch 2013 nichts würde mit dem so ersehnten WM-Titel.
Alonso machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, aber die öffentliche Kritik kam beim damaligen Ferrari-Präsidenten Luca Montezemolo gar nicht gut an. Sein wenig verhüllter Flirt mit Red Bull Racing auch nicht. Der Chef tadelte: «Niemand ist grösser als Ferrari.»
Montezemolo spürte so viel Verärgerung bei Alonso, dass der Präsident damit rechnete, Fernando würde schon 2014 nicht mehr für Ferrari fahren. Also sah er sich nach einer Alternative um. Intern galt es als beschlossene Sache, dass Felipe Massa für 2014 keinen Vertrag mehr erhalten würde. Montezemolo befürchtete auf einmal, ganz ohne Fahrer dazustehen.
Daraufhin wurde mit Nico Hülkenberg ein Abkommen getroffen – ob mündlich oder schriftlich, ob Absichtserklärung oder Vorvertrag, darüber gehen die Meinungen ein wenig auseinander.
Doch im Lauf der Zeit ergab sich für Ferrari die Möglichkeit, Kimi Räikkönen zurück zu holen. Der Finne war nach einer Auszeit im Rallyesport mit Lotus in die Formel 1 zurückgekehrt und zeigte mit Siegen in Abu Dhabi 2012 und Australien 2013, dass er nichts von seinem Talent eingebüsst hatte. Der damalige Teamchef Stefano Domenicali hielt grosse Stücke auf Kimi.
Dann ging alles ziemlich schnell: Räikkönen wurde am 11. September 2013 von Ferrari bestätigt, Montezemolo hatte währenddessen die Wogen mit Fernando Alonso geglättet, der Spanier glaubte wieder an sein Team, nachdem er die Pläne für die kommenden Jahre gesehen hatte. Ferrari würde also ab 2014 mit Räikkönen und Alonso fahren. Nico Hülkenberg blieb schlicht aussen vor.
Es gibt noch eine andere Theorie, wieso der Deutsche verschmäht worden ist. Ferrari hat aufgrund der engen Zusammenarbeit mit Sauber Einblick in die Daten der Piloten. Nico Hülkenbergs Werte waren sehr gut, ohne Zweifel, aber man hatte in Maranello wohl nicht den Eindruck, dass er auf dem Niveau eines Champions wie Alonso oder Räikkönen fahren kann.
Letztlich war das auch der Grund, wieso Ferrari von Sergio Pérez nicht überzeugt war, der 2011 und 2012 für Sauber fuhr. Wenn der Mexikaner, damals Mitglied der Ferrari-Nachwuchsakademie, tatsächlich der grosse Überflieger wäre, dann hätte ihn Ferrari nie für 2013 an McLaren freigegeben.
Und was ist nun mit 2015 und dem Argument, Ferrari haben eben nicht zwei Deutsche im Team haben wollen?
Gegenfrage: Wieso bitteschön nicht? Wie viele Autos verkauft Ferrari in Deutschland und wie viele in Finnland? Wenn es nach Absatzmärkten ginge, müsste im Ferrari ein US-Amerikaner sitzen und daneben ein Brite.