David Brabham: «Roland Ratzenberger – ein Pfundskerl»
Es war nicht leicht, in die Fussstapfen eines Jack Brabham zu treten. Der Australier wurde drei Mal Formel-1-Weltmeister und gewann 14 Formel-1-WM-Läufe. David Brabhan ist der jüngste von drei Söhnen (neben Geoff und Gary), nur er schaffte es ebenfalls bis auf die GP-Startaufstellung. Seinen grössten Erfolg feierte David als Peugeot-Werksfahrer – Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans 2009 an der Seite von Alex Wurz und Marc Gené.
David arbeitet daran, den Namen Brabham wieder auf die Rennpiste zurückzubringen. Im Mai 2018 hat er in London den Brabham BT62 präsentiert, einen Supersportwagen mit 710 PS. «Brabham Automotive» hat den Langstreckensport im Visier.
In diesen Tagen erinnert sich der Australier an Vorkommnisse, die vor 25 Jahren passiert sind. Denn 1994 war er im kleinen Simtek-Rennstall Teamgefährte von Roland Ratzenberger. Auf seiner eigenen Webpage hat David Brabham seine Gedanken zum schwarzen Wochenende von Imola geteilt, offen, ehrlich, schonungslos.
Das Wort hat David Brabham.
Vor 25 Jahren lebte ich in Monaco, mein Simtek-Stallgefährte Roland Ratzenberger auch. Gemeinsam gingen wir oft dem Meer entlang laufen. Er hatte eben seinen Traum Formel 1 verwirklicht und bereitete sich sehr gewissenhaft fürs dritte Rennen der Saison in Imola vor. Ich bestritt meine zweite Saison, nachdem ich vier Jahre zuvor für Brabham hatte fahren können.
Beim Training diskutierten wir darüber, was wir aus den Rennen in Brasilien und Japan gelernt hatten und was wir in Italien anders und besser machen wollten. Wir konnten Imola kaum erwarten. Einige Abendessen waren eine gute Gelegenheit, Roland besser kennenzulernen.
Roland war ein Pfundskerl – man konnte sich keinen besseren Kumpel und Arbeitskollegen wünschen. Er hatte ein verschmitztes Lächeln, das auch bei den Damen gut ankam. Er ging seinen Job sehr entschlossen an und wollte diese Formel-1-Chance beim Schopf packen. Er hatte für sechs Rennen unterschrieben.
Angst um Rubens Barrichello
Der Beginn des Imola-Wochenendes war ganz normal: Sitzungen und PR-Arbeit, nichts Aussergewöhnliches, nichts deutete darauf hin, was auf uns zurollte.
Am Freitag hatte Rubens Barrichello einen fürchterlichen Unfall. Das ganze Fahrerlager war erschüttert. Jeder machte sich grosse Sorgen um Rubens und war erleichtert als bekannt wurde, dass Barrichello verhältnismässig glimpflich davongekommen war.
Das ganze Training über beklagte sich Roland über seine Bremsen, er kam nicht wie gewünscht in Schwung. Ich hatte mehr Erfahrung mit Kohlefaserbremsen, also bat mich das Team, in sein Auto zu hüpfen und einige Runden zu drehen. Ich musste nicht lange fahren, um zum gleichen Urteil wie Roland zu kommen: «Die Bremsen sind Mist, wir brauchen neue.»
Am Samstagmorgen war Roland mit dem Auto zufrieden. Wir lagen von den Zeiten her nun dicht beisammen, und ich spürte seinen Willen, dem Team zu zeigen, was in ihm steckt.
Der verfluchte Samstag
Ich fuhr am Limit, aber die Möglichkeiten des Wagens waren begrenzt. Schneller als die Gegner waren wir nicht. Auf einmal gelbe Flaggen und viele Trümmer zwischen der Tamburello und der Villeneuve. Ich wusste sofort, dass es Rolands Auto war.
Streckenposten überall. Ich wollte unbedingt sehen, wie es Roland ging. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Der Blick auf seinen zur Seite geneigten Kopf war überaus verstörend, mir war übel, und ich hatte sofort den starken Eindruck, dass wir Roland verloren haben.
Mein nächster Gedanke war: Reifen auf Temperaturen halten! Ich weiss, dass dies völlig lächerlich und unangemessen klingt, aber ich glaube, mein Hirn schaltete eine Art Abwehrmechanismus ein und wollte einfach die düsteren Gedanken verscheuchen.
Ich kam an die Box zurück, da stand meine Frau Lisa. Ihr Gesicht zeigte, wie schockiert sie war. Ich ging hinüber und umarmte sie. Sie fragte mich, ob Roland okay sein werde, und ich antwortete: «Ich glaube, er ist von uns gegangen.»
Es waren schwierige Minuten der Ungewissheit. Jeder hoffte, dass ich mich geirrt hatte, dass meine Eindrücke falsch waren. Als die Gewissheit kam, war es das furchtbarste Gefühl, das ich je als Rennfahrer gehabt habe. Zu wissen, Roland nie wiederzusehen, das war wie ein Hammerschlag.
Wir standen alle unter Schock, wir waren wie taub. Wir zogen den Rollladen unserer Box herunter und zogen uns zurück. Es war so gut wie unmöglich, das zu verdauen.
Es dauerte sehr lange, bis jemand das Wort ergriff. Wir konzentrierten uns darauf zu ergründen, was wohl passiert sein könnte. Offenbar war etwas am Wagen gebrochen, wie sich herausstellte, war es der Frontflügel. Anhand der Daten konnten wir sehen, dass Roland in der Runde zuvor einen Ausrutscher gehabt hatte. Er ging vom Gas, fuhr Schlangenlinien, wohl um zu sehen, ob mit dem Wagen alles in Ordnung sei. Er verlor kaum Zeit und war zum Schluss gekommen, dass er eine weitere Runde fahren kann.
Starten oder nicht starten?
Am Abend fragte mich das Team, ob ich am Sonntag fahren wolle. Auch die FIA überliess die Entscheidung mir alleine. Ich hatte noch nie einen Stallgefährten verloren, also wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich konnte nicht klar denken. Also sagte ich: Ich fahre das Warm-up und entscheide mich dann.
An Schlaf war in der Nacht auf Sonntag kaum zu denken. Meine Frau machte sich grosse Sorgen, sie war in der 18. Woche schwanger.
Am Sonntag ging es mir kaum besser. Ich hatte den Eindruck, die ganze Welt schaut auf mich. Im Warm-up war ich sehr gut unterwegs. Vielleicht hatte mich das Team mit halbvollem Tank rausgeschickt. Als ich an die Box zurückkam, hatte ich das Gefühl, ich müsse fahren – ich wollte mein Team nicht im Stich lassen.
Ich fühlte mich vor dem Start nicht wohl, und ich kann mir gar nicht vorstellen, was in meiner Frau vorgegangen sein muss.
Nur noch raus!
Nach dem Start hatte ich alle Hände voll zu tun, dem Unfall mit Lamy und Lehto auszuweichen. Ich dachte: «Was ist an diesem verdammten Wochenende nur los?» Als die Gelbphase vorbei kam, begann das Rennen richtig, aber dann schon wieder gelbe Flaggen, zur Rechten in der Tamburello ein Wagen, ich konnte kaum einen Blick darauf werfen, ich dachte zuerst, es sei ein Tyrrell. Ich dachte keinen Moment an Senna.
Wir hielten alle auf der Startaufstellung an, schnell kursierte, es sei Ayrton und es sehe nicht gut aus. Wir gingen erneut ins Rennen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass viele noch fahren wollten.
Mein Rennen endete mit einer defekten Lenkung. Ich kann von Glück reden, dass ich nicht selber in einer Mauer gelandet bin. Ich rollte zur Box zurück und kam mir verwunschen vor. Ich wollte nur noch raus aus diesem Auto ...
Viele Menschen sagen, dass Rolands Tod vom Unfall Ayrtons überschattet wurde. Vielleicht ist das so. Auf der anderen Seite sind die beiden auf ewig verbunden. Würden wir heute noch so oft von Roland reden, hätte Senna überlebt? Wahrscheinlich nicht. So seltsam es klingen mag: Der Tod von Ayrton Senna hält auch die Erinnerung an Roland Ratzenberger wach.