Ferrari vor Frankreich-GP: Hauptproblem gefunden?
Sebastian Vettel vor Lewis Hamilton in Kanada
Immer wieder hat Ferrari-Star Sebastian Vettel betont: «Wir wissen, dass wir ein gesundes, schnelles Auto haben. Wir müssen es nur schaffen, dieses Potenzial regelmässig aus dem Wagen zu holen.» Der Hauptverdächtige bei der Suche nach den Gründen, wieso das nicht immer klappte: die Harmonie zwischen Reifen und Chassis. Es war davon die Rede, dass der Ferrari weniger Abtrieb aufbaue als der Mercedes, dass der Ferrari deshalb die 2019er Pirelli nicht nachhaltig genug durchknete, um die Reifen im besten Betriebsfenster zu halten. An Motorleistung und Top-Speed gibt es nichts zu mäkeln, da ist Ferrari Klassenbester.
Nun zeichnet sich ab: Es könnte noch einen anderen Grund gegeben haben, warum Ferrari aus dem Modell SF90 nicht immer das Beste schöpfen konnte. Mein Kollege Roberto Chinchero von der italienischen motorsport.com berichtet über Deckungs-Ungleichheiten zwischen Windkanal, Simulator und den Daten von der Rennstrecke. In Frankreich wird Ferrari einen neuen Frontflügel mithaben, der mehr Abtrieb erzeugen soll, ohne die Aero-Philosophie des Autos zu kompromittieren.
Formel-2-Europameister Marc Surer hatte Mitte Mai in Spanien im Gespräch mit SPEEDWEEK.com knallhart auf den Tisch gebracht, was seit längerem im Fahrerlager vermutet worden war: «Ferrari hat ein konzeptionelles Problem. Das Auto baut zu wenig Abtrieb auf. Das fiel im Winter aus zwei Gründen nicht auf: Erstens reichte es im frühen Entwicklungsstadium der Autos und auf dieser Strecke, um Bestzeiten zu fahren, und zweitens hatte Mercedes das eigene Fahrzeug in der ersten Wintertestwoche nicht im Griff. Wenn wir uns die Sektoren anschauen, dann war Ferrari schon im Winter im letzten Pistenteil schlecht, dort also, wo du am meisten Abtrieb brauchst. Wir hätten damals aufhorchen müssen.»
«Abtrieb kannst du nicht einfach herbeizaubern. Gut, du könntest grössere Flügel ans Auto packen, aber dann bist du auf den Geraden nicht mehr schnell genug. Das ist Ferrari in China passiert. Abtrieb muss vom Unterboden kommen, daher vermute ich – Ferrari hat ein konzeptionelles Problem. Wenn der Frontflügel die Luft aussen um die Vorderräder zwingt, dann ist das zur Versiegelung des Luftstroms an den Seitenkästen gut in schnellen und mittelschnellen Kurven, aber es scheint in langsamen Ecken nicht zu funktionieren. Die Aerodynamiker wollen die Wirkung des Unterbodens betonen, indem sie mit geschickt geführtem Luftfluss verhindern, dass Luft seitlich abfliesst. Du willst diese Luft möglichst nachhaltig unterm Auto behalten und zum Heck leiten. Fliesst die Luft seitlich ab, dann verlierst du Abtrieb.»
Chinchero will herausgefunden haben: Ferrari tritt in Frankreich mit einem aerodynamisch ganz anders ausbalancierten Wagen an, dies nachdem obige Unterschiede zwischen Rennbetrieb und Simulation erkannt worden sind. Das würde vielleicht erklären, warum gewisse neue Teile auf der Piste nicht das brachten, was man sich aus dem Windkanal davon versprochen hatte.
Sebastian Vettel sagt zum kommenden Rennwochenende auf dem Circuit Paul Ricard: «Seit vergangenem Jahr sind viele Passagen der Rennstrecke frisch asphaltiert worden, das wird eine Rolle spielen. Wir treten gemessen an Kanada mit einer Reifenpalette an, die um einen Schritt härter ist, das begünstigt Einstopprennen. Wir sollten den Speed haben, um recht gut auszusehen.»
Charles Leclerc meint: «Es klingt seltsam, weil ich ja aus Monaco stamme, also nicht weit von Le Castellet entfernt. Aber ich bin in Paul Ricard das letzte Jahr in der Formel 2 erstmals ein Rennen gefahren. Wegen der enormen Auslaufzonen kannst du mehr riskieren als auf anderen Strecken.»
Teamchef Mattia Binotto: «Wir haben einige Neuheiten am Wagen, welche uns hoffentlich in die richtige Richtung bugsieren. Ich wage nicht zu sagen: das ist die Lösung für all unsere Probleme, aber die Erkenntnisse aus dem Einsatz dieser neuen Teile wird die weitere Entwicklung beeinflussen. Grundsätzlich ist das Pistenlayout für die Qualitäten unseres Wagens nicht so passend. Aber wir werden unsere Haut so teuer wie möglich verkaufen.»