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Vorwurf an Kimi Räikkönen: Potenzial nie ausgeschöpft

Von Mathias Brunner
Der frühere McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh mit Kimi Räikkönen

Der frühere McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh mit Kimi Räikkönen

Der langjährige McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh sagt über den heutigen Ferrari-Piloten Kimi Räikkönen: «Ich glaube, Kimi hat sein wahres Potenzial überhaupt nie ausgeschöpft.»

Nach dem Formel-1-Debütjahr mit Sauber wechselte Kimi Räikkönen für 2002 zu McLaren-Mercedes. In fünf Jahren wurde aus dem erhofften WM-Titel nie etwas, zunächst stand Michael Schumacher mit Ferrari dem stillen Finnen vor der Sonne, dann Fernando Alonso mit Renault. Kimi wurde 2003 WM-Zweiter hinter Schumi.

Erst nach dem Wechsel zu Ferrari holte Räikkönen endlich den WM-Titel: ironischweise waren es bei McLaren-Mercedes Fernando Alonso und Lewis Hamilton, die sich so lange balgten, bis Kimi beim WM-Finale von Brasilien 2007 der lachende Dritte wurde.

Später schien Kimi das Interesse an der Formel 1 zu verlieren, er wurde vorzeitig bei Ferrari ersetzt (durch Fernando Alonso, ab 2010), wechselte in den Rallyesport, aber irgendwann juckte es ihn dann wieder, Kimi kehrte 2012 mit Lotus in die Formel 1 zurück, gewann in Schwarz zwei Grands Prix, was den Weg zurück zu Ferrari ebnete, wo er 2014 neben Alonso fuhr (die Welt ist klein) und 2015 neben Sebastian Vettel im Einsatz steht. Am Belgien-GP-Wochenende wurde sein Vertrag von Ferrari um ein Jahr für 2016 verlängert.

Gegenüber unseren Kollegen von «Motor Sport» bedauert der langjährige McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh: «Seine Leistungen haben mich nicht überrascht. Vielleicht ist das letzte Quäntchen Speed weg, aber er leistet noch immer verflixt gute Arbeit, und er macht selten Fehler. Bei uns hatte er Tage, da grenzte seine Darbietung ans Geniale, und dann gab es wieder Tage, die du am besten gleich mal vergisst.»

«Kimi ist für mich ein missverstandener Mensch. Gut, er mag Partys und einen Drink, aber wenn es um sein Training geht, dann ist er disziplinierter als die meisten Menschen glauben würden, zudem ist er blitzgescheit – einer der klügsten Fahrer da draussen, um genau zu sein. Weil er generell eher wenig sagt und weil er dieses etwas flapsige Verhalten zeigt, würde man das gar nicht glauben. Zudem ist er für mich einer der besten Piloten, was das Verständnis des Fahrzeugs angeht und wie er das rüberbringt.»

«Er hat alle Zutaten eines grossen Rennfahrers, was er aber nicht hat, das ist die Hingabe. Ich kann mich an ein Rennen an Montreal erinnern, das innerhalb von acht Tagen mit jenem in Indianapolis stattfand. Am Sonntagabend teilte Kimi mit, er jette jetzt nach Las Vegas, um mit seinem Kumpels zu feiern. Ich sagte: „Kimi, unterm Strich bist du erwachsen und musst wissen, was du tust. Stell dir einfach mal die Frage: Wenn du in sechs Tagen in Indy die Pole um wenig Hundertstel verhaust, weil die Vorbereitung vielleicht nicht so ideal war, würdest du dir dann nicht in den Hintern treten?“ Er hat gelacht, genickt – und ist dann nach Las Vegas abgehauen.»

«Kimi kann Ron (Dennis, McLaren-Chef, die Red.) nicht ausstehen, aber ich bin immer gut mit ihm ausgekommen, und ich habe mir überlegt, ihn wieder zu uns zu holen, als Ferrari sich Ende 2009 von ihm trennte. Wir standen mit seinem Management in Verhandlungen, aber die waren etwas überehrgeizig, was die geschäftliche Seite angeht. Dann kam Jenson auf den Markt, und damit hatte sich das erledigt.»

«Kimi frustriert einen – denn so clever er ist und so wahnsinnig schnell, so macht es einen doch wütend, dass er sich selber kompromittiert. Er hat sein volles Potenzial vielleicht nie ausgeschöpft, und er wird das jetzt auch nicht mehr tun. Das ist eine Schande. Aber sonst – sehr einfühlsam, überaus trockener Humor, ich mag den Burschen wirklich.»

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