Sebastian Vettel chancenlos: Was verschweigt Ferrari?
Ferrari fuhr in Australien hinterher
Die meisten Formel-1-Fans trauten beim Grossen Preis von Australien ihren Augen nicht. Wo war der wunderbare Speed von Ferrari aus den Wintertests geblieben? «Die Italiener haben wohl vergessen, ihn nach Melbourne mitzunehmen», witzelte im Fahrerlager einer, aber Ferrari-Teamchef Mattia Binotto war wenig ums Lachen zumute – Sebastian Vettel nur Vierter, Charles Leclerc als braver Teamplayer dahinter Fünfter, so hatte sich das stolze Ferrari den WM-Beginn ganz bestimmt nicht vorgestellt.
Es kursieren zahlreiche Theorien, was auf dem Strassenkurs im Albert-Park schiefgelaufen sein könnte: Eine unpassende Abstimmung; daher Probleme, das Beste aus den Reifen zu holen; eine konservative Einstellung des Motors; ein Frontflügelkonzept, das auf dem ebenen Asphalt von Barcelona funktioniert, nicht aber beim Wellenreiten in Melbourne; eine Formkrise der Fahrer.
Einige der Mutmassungen können wir gleich mal zur Seite schieben: Weder Sebastian Vettel noch Charles Leclerc haben auf einmal vergessen, wie man das rechte Pedal bedient. Ferrari hat Schwierigkeiten, aber bestimmt nicht mit den Fahrern.
Zur Abstimmung hat Teamchef Mattia Binotto in Australien zugegeben: «Seit dem ersten Training haben wir nie eine gute Balance gefunden, das war einer der Gründe, warum wir Probleme mit den Reifen hatten. Wir haben mit der Abstimmung Einiges versucht, aber wir haben das nie auf die Reihe bekommen. Und das hat sich ins Rennen fortgesetzt. Das war das grösste Problem. Die unpassende Abstimmung führte dazu, dass wir die Reifen nicht ideal nutzen konnten.»
Wir würden dem geradlinigen Binotto nicht unterstellen, dass er die Medien anflunkert. Aber keiner kann vom Teamchef verlangen, dass er uns alles sagt, und so liegt die Wahrheit zur schwachen Darbietung vielleicht eher in jenen Punkten, die Binotto nicht anschneidet.
Wir erinnern uns: Bei den Tests in Spanien hatte es Probleme mit der Überhitzung gegeben, dazu ein Problem mit dem Auspuff. Der frühere Ferrari-Fahrer Jean Alesi behauptet auf Canal+, die Ferrari-Motortechniker hätten wegen Bedenken in Sachen Standfestigkeit Leistung zurückgenommen. Tatsächlich fiel im Albert-Park auf, dass Ferrari in Sachen Top-Speed weder im Qualifying noch im Rennen so weit vorne auftauchte wie bei den Tests in Katalonien.
Sieger Valtteri Bottas erreichte 311,4 km/h, Vettel kam nicht über 303,7 km/h hinaus, Leclerc schaffte nicht mal die 300er Marke (297,4). Ein Teil des Problems ist hier auch, dass Ferrari (gemessen an den direkten Gegnern) mit steiler gestellten Flügeln fuhr, um die Reifen besser zum Arbeiten zu bekommen.
Andere Möglichkeit: Um ein möglichst windschlüpfiges Auto zu haben, fuhr Ferrari in Australien mit weniger Öffnungen in der Verkleidung als zum Beispiel Mercedes. Das ist auf dem Papier die bessere Lösung, dank geringeren Luftwiderstands, könnte aber zu Kühlproblemen beigetragen haben, die so bei den Tests nicht auftraten. Am Renntag in Australien war es heisser als an den Trainingstagen zuvor und auch als bei den Tests. Der Verdacht: Die Motoren im Mercedes konnten freier atmen. Um keinen Schaden zu riskieren, wurde bei Ferrari Leistung reduziert. Wir dürfen nicht vergessen – im Schnitt muss ein Motor sieben GP-Wochenenden lang halten.
In Spanien konnten Vettel und Leclerc ihren roten Renner quasi mit zwei Fingern fahren, «der Wagen macht exakt, was ich will», stellte Sebastian erfreut fest. Davon konnte in Australien keine Rede mehr sein. Der Verdacht: Der Wagen reagiert empfindlich auf Veränderungen der Bodenfreiheit. Das ist auf Billardtisch-glatter Bahn wie Barcelona weniger gravierend als auf einem Waschbrette wie der Piste im Albert-Park. Denkbar auch, dass die Aufhängung des Ferrari Bodenunebenheiten und Randsteinritte weniger gut verdaut als die Lösungen von Mercedes und Red Bull Racing.
Fazit: Ja, Ferrari hat in Australien nie die perfekte Abstimmung erarbeiten können. Aber die Probleme gehen über das Set-Up weit hinaus. Mattia Binotto und seine Kollegen haben viel Arbeit vor sich.