Ron Dennis über Ayrton Senna: «Er war ein Phänomen»
Im Rahmen des Monza-GP von 1987 lud McLaren zu einer Präsentation in den Königlichen Park ein. Teamchef Ron Dennis verkündete stolz, dass ab 1988 Ayrton Senna für McLaren fahren werde. Der Brasilianer wirkte energiegeladen, so als würde er sogleich loslegen wollen. Daneben stand Alain Prost. Glück sieht anders aus. Tatsächlich lieferten sich die beiden Superstars in den folgenden zwei Jahren das vielleicht erbittertste Duell zweier Formel-1-Stallgefährten. Aber trotz Platzhirsch Prost holte sich Ayrton Senna 1988 in seiner ersten Saison mit McLaren gleich seinen ersten WM-Titel.
Tiefe Entschlossenheit, tollkühner Mut, Detailversessenheit, unbändiger Siegeswille – das sind alles Eigenschaften, die mit Ayrton Senna in Zusammenhang gebracht werden, zu Recht. Aber es gab auch einen anderen Ayrton Senna, wie McLaren-Teamchef Ron Dennis weiss. Ausgerechnet jenes Team, das unter der Sauertopfmiene von Dennis den Eindruck vermittelt, man gehe zum Lachen in den Keller, war Schauplatz einiger der wildesten Streiche der Formel 1, «und der Schlüssel dazu», so Ron, «war Gerhard Berger, für den es in Sachen Schabernack keine Grenzen zu geben schien.»
«Bevor Gerhard zu uns kam, konnte sich keiner so richtig vorstellen, dass jemand einen Witz erzählt und sich Senna darüber kugelt vor Lachen. Berger brachte Humor ins Team. Was wir zum Teil anstellten, musste im Verborgenen bleiben, denn es hätte nicht nur meine Autorität untergraben, sondern auch den Respekt vor den Fahrern. Viele Geschichten sind im Laufe der Zeit erzählt worden, andere nicht. Als ungeschriebenes Gesetz galt, dass man die Reaktion auf den jüngsten Streich abwartet und am besten so gut, als hätte man damit nicht das Geringste zu tun. Das Opfer wiederum tat ebenfalls, als sei überhaupt nichts passiert – selbst wenn das ab und an etwas schwierig war.»
«Wir logierten für den Monza-GP jeweils in der edlen Villa d’Este, eines der besten Häuser des Landes. Da hast du dann ein kleines Problem, wenn du ins Zimmer kommst und alle Wände sind mit Seiten aus unzähligen Pornomagazinen tapeziert. Die Bilder diskret zu entsorgen, war das eine; ein grösseres Problem bestand darin, sie ohne Schäden an der Einrichtung abzuziehen.»
«Es konnte dir auch durchaus passieren, dass du nach einem langen Arbeitstag ins Hotelzimmer zurückgekommen bist, und es war leer. Ich meine: richtig leer – keine Möbel, keine Kleider, gar nichts.»
«Ich glaube nicht, dass Ayrton aus seiner Kindheit das Konzept Streich kannte. Und es dauerte eine Weile, bis er da mithalten konnte. Meist sagte er, milde irritiert: ‘Das können wir nicht tun.» Aber dann wurde doch sein Einfallsreichtum angestachelt, wenn es darum ging, jemandem etwas heimzuzahlen. Es wurde viel gelacht, wir hatten enormen Spass.»
Meinem Kollegen Jonathan Noble von Autosport hat Ron Dennis vor einigen Jahren erzählt: «Es gibt Vorkommnisse, die verändern dein Leben. Damals in Imola machte ich zu. Es ist unmöglich, die Gefühle zu teilen, welche dich bei so einer Tragödie innerlich zerreissen. Du kannst mit den Armen rudern und dich wichtigmachen und damit prahlen, wie gut du Senna gekannt hast. Einige im Senna-Film sprachen über ihn, als seien sie die besten Freunde von Ayrton gewesen. Die Wahrheit sieht ein wenig anders aus.»
Dennis glaubt stark an ein Konzept, das er «rückblickendes Drehbuchschreiben» nennt, wenn wir im Nachhinein gewisse Vorkommnisse beugen, um sie besser ins Geschehene einzupassen. Ron Dennis glaubt, die beinahe religiöse Erfahrung von Ayrton Sennas Monaco-Runde 1988 war solch eine Situation, eine Begebenheit, die in der Rückschau verklärt wird. «Aber er als Rennfahrer? Mir fällt nichts Anderes ein als zu sagen – er war ein Phönomen.»
Dennis traf Senna früh, das war nach dessen Titeln in der britischen und europäischen Formel Ford 2000. Für einen längerfristigen Vertrag wollte er ihm 1983 die Formel 3 finanzieren. «Er hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ihn das nicht interessiert. Er wusste, was er konnte, und er wollte unabhängig bleiben. Ich mochte seine Antwort nicht, aber ich habe sie respektiert.»
Im Winter 1983 sass Senna dennoch in einem McLaren, für einen Test. «Als Ayrton für uns testete, dachte ich – egal, was der Kerl mit dem Auto macht, ich werde ihm nicht zeigen, dass ich beeindruckt bin. Er kam als sehr arrogant rüber, er wollte sich einen Vorteil sichern. Er wollte sicherstellen, dass der Wagen von den anderen Rookies nicht beschädigt ist, er wollte frische Reifen. Du hast ihm angesehen, das ist ein ‘Ich habe immer recht’-Typ. Er war sauschnell, aber ich war nicht so interessiert an ihm. Er war zu jung für uns. Also liessen wir ihn woanders hinziehen.»
Monaco 1984, als Senna mit seinem Toleman-Rennwagen im strömenden Regen von Monaco Leader Alain Prost im McLaren einholte, bestärkte Dennis im Wissen – er muss sich diesen Ayrton angeln. Im Sommer 1987 war es so weit.
Ron Dennis findet: «Ayrton hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Ich konnte sehen, mit welcher Hingabe er arbeitete. Das hat mich angespornt, meine eigenen Grenzen zu verschieben. Ich fand: Ich will mich so reinhängen wie er. Ich mochte seine Prinzipien.»
Im Sommer 1993 wurde klar: Senna geht zu Williams. Ron Dennis: «Er gehörte bei uns zur Familie, aber vielleicht brauchten wir beide etwas Abstand voneinander. Es waren sehr intensive Jahre. Beim letzten Rennen in Australien 1993 wurde alles sehr emotional. Ayrton schwankte. Er dachte darüber nach, den woanders unterzeichneten Vertrag zu brechen und zu bleiben. Ich sagte zu ihm: ‘Wenn du das Abkommen brichst, dann ist das wie das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben.’ Aber ich konnte sehen, wie er mit sich kämpfte, er war ein loyaler Mensch.»
Wieso ist die Faszination Senna bis heute ungebrochen? Ron Dennis: «Weil er immer so gut war. Er war auf der Höhe seines Könnens, jahrelang schon. Er war einfach dieser unfassbar tolle Rennfahrer, und auf einen Schlag war er nicht mehr da. Und er stand ein für gute Werte als Mensch. Er versuchte immer, sich selber treu zu bleiben. Als es in Suzuka 1990 zur Kollision mit Alain Prosts Ferrari in der ersten Kurve kam, wussten alle, was passiert war – du hast nur sehen müssen, wie mit dem Gas und der Bremse umgegangen wurde, oder eben nicht. Senna hatte Prost abgeräumt, keine Frage. Er kam zurück, ich schaute ihn an und sagte: ‘Ich bin von dir enttäuscht.’ Er verstand sofort. Es war einer der wenigen Moment der Schwäche, die ich mit ihm erlebt habe.»